Beweisverfahren beim Verdacht des manipulierten Unfallgeschehens im Zivilprozess
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Die Manipulation eines Verkehrsunfalls, um (höhere) Schadensersatzforderungen zu generieren, ist in tatsächlicher Hinsicht ein vielgestaltiges Phänomen, das letztlich zu Lasten der Versichertengemeinschaft und damit zu Lasten aller geht. Der rechtliche Rahmen, seiner Herr zu werden, ist im Grundsatz bereits seit einer Leitentscheidung des BGH aus dem Jahr 1977 (BGHZ 71, 339) gezogen. Gleichwohl haben sich in jüngerer Zeit einige Unsicherheiten bei der Ausfüllung dieses Rechtsrahmens gezeigt.
A. Einführung
Die Manipulation eines Verkehrsunfallgeschehens hat viele Gesichter. In der Praxis wird i.d.R. zwischen den folgenden Phänotypen unterschieden:
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gestellter Unfall: Das Schadensereignis ist tatsächlich erfolgt, war aber zwischen den Beteiligten verabredet (sog. Autobumser-Fälle). |
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provozierter Unfall: Das Schadensereignis ist tatsächlich erfolgt und war vom Schädiger auch nicht beabsichtigt, wurde aber vom Geschädigten bewusst provoziert (z.B. durch überraschendes Abbremsen oder durch Einbiegen von einer Vorfahrtstraße an einer unübersichtlichen Stelle). |
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fingierter Unfall/Papierunfall: Den Unfall gibt es nur "auf dem Papier", ein Altschaden oder ein insgesamt erfundener Schaden wird im kollusiven Zusammenwirken von angeblichem Geschädigten und angeblichem Schädiger zu Lasten des Versicherers als angeblicher Unfallschaden abgerechnet. |
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ausgenutzter Unfall: Das Schadensereignis ist tatsächlich erfolgt und war von beiden Seiten nicht gewollt, bei der Abrechnung nutzt der Geschädigte jedoch die Situation, um Vorschäden mitabzurechnen. |
Der gute Wille, diesen Erscheinungsformen der Unfallmanipulation einen rechtlichen Riegel vorzuschieben, darf aber nicht dazu führen, dass die gesetzlichen Grundlagen für die Lösung des Problems aus dem Blick geraten oder verschliffen werden. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung wurde die Unfallmanipulation zuletzt sogar für den Versuch herangezogen, im Wege der Rechtsfortbildung die Möglichkeit der fiktiven Schadensabrechnung auch im Verkehrsunfallschadenrecht aufzugeben:
Zitat
"(…) Nach Auffassung der Kammer gebieten schließlich auch zweck- und rechtsfolgenorientierte Erwägungen diesen Schritt. Die Möglichkeit der rein fiktiven Schadensberechnungen ist nämlich, wie tatrichterliche Erfahrungen gerade in den erstinstanzlichen Verfahren zeigen, das Einfallstor für Versicherungsbetrügereien und gestellte, provozierte oder sonst manipulierte Verkehrsunfälle schlechthin (…). Allgemein aber ist die Möglichkeit der fiktiven Schadensabrechnung die unverzichtbare Geschäftsgrundlage krimineller Machenschaften im Zusammenhang mit der Regulierung von Sachschäden gerade bei Unfallsachen. Es werden Fahrzeuge der Oberklasse mit hinreichend hohem Wiederbeschaffungswert eingesetzt, beschädigt und dann bei der betreffenden Versicherung zur Regulierung auf der Basis fiktiver Reparaturkosten vorgestellt. Diese Kosten liegen ein Vielfaches über den zumeist nur kosmetisch in Hinterhofwerkstätten mittels "Eigenregie" durchgeführten tatsächlichen Kosten der Beseitigung der Unfallspuren. Es darf auf die mittlerweile unüberschaubare Liste der von den Instanzgerichten aufgestellten Indiztatsachen verwiesen werden. Gibt man freilich mit guten Gründen die Rechtsprechung über die Anerkennung der fiktiven Schadensabrechnung generell auf, ist diesen "Geschäftsmodellen" auf einen Schlag die Grundlage entzogen, weil dann nur noch tatsächlich angefallene Reparaturkosten geltend gemacht werden können, die in jeder Hinsicht überprüfbar sind. (…)"
Im Zuge der damit einhergehenden Rechtsfortbildung (…)“
Losgelöst von der hier nicht zu erörternden Frage der fiktiven Schadensabrechnung im Verkehrsunfallrecht zeigt sich in der zitierten Passage die Gefahr, die entsteht, wenn man sich – ausgehend von einer völlig zutreffenden Problembeschreibung – bei der Problemlösung von dem gewünschten Ergebnis leiten lässt. Die dann zu Tage tretenden "zweck- und rechtsfolgenorientierten Erwägungen" tragen das Risiko in sich, auch unterhalb der Schwelle der bewussten Rechtsfortbildung früher oder später mit der überkommenen zivilrechtlichen Dogmatik zu kollidieren. Der folgende Beitrag soll zeigen, dass diese Bemühungen weder zielführend noch notwendig sind, weil das geltende allgemeine Zivil- und Zivilprozessrecht ein ausreichendes Instrumentarium an die Hand gibt, um der Probleme Herr zu werden und um zu ausgewogenen Ergebnissen zu kommen. Voraussetzung hierfür ist in erster Linie, dass man sich des klassischen Prüfungsaufbaus im Haftungsrecht mit den Ebenen des äußeren Tatbestandes der Rechtsgutverletzung (hierzu sogleich unter B.), der Rechtswidrigkeit/Einwilligung (C.) sowie des Schadensumfangs (D.) vergewissert.