VVG § 182; AUB 2008 Ziff. 1.4.1, Ziff. 3
Leitsatz
1. Eine Ruptur der Supraspinatussehne ist eine Verletzung "an Gliedmaßen" i.S.v. Ziff. 1.4.1 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2008).
2. Eine Minderung wegen Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen nach Ziff. 3 AUB 2008 kann auch bei einer Sehnenruptur in Betracht kommen.
BGH, Urt. v. 22.1.2020 – IV ZR 125/18
Sachverhalt
Der Kl. unterhält bei der Bekl. eine Unfallversicherung, der die AUB 2008 zugrunde liegen. Darin heißt es:
Zitat
"1. Was ist versichert?"
…
1.4 Als Unfall gilt/gelten auch,
1.4.1 wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden;
…
3. Welche Auswirkungen haben Krankheiten oder Gebrechen?
Als Unfallversicherer leisten wir für Unfallfolgen. Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich
▪ |
im Fall einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, … |
entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens. Beträgt der Mitwirkungsanteil weniger als 25 %, unterbleibt jedoch die Minderung.“
Nach den Feststellungen des BG zog sich der Kl. im Oktober 2013 durch das Anheben eines ca. 20 kg schweren Farbeimers, um diesen auf eine höhere Gerüstetage zu stellen, einen Riss der Supraspinatussehne der rechten Schulter zu. Ein von der Bekl. beauftragter Gutachter kam zu dem Ergebnis, die Mitwirkung unfallfremder Erkrankungen betrage 100 %, woraufhin die Bekl. Leistungen ablehnte. Der Kl. hatte 2002 eine seinerzeit operativ versorgte Schultereckgelenksprengung rechts erlitten.
2 Aus den Gründen:
"…"
[8] 1. Zutreffend hat das BG Ziff. 1.4.1 AUB 2008 nicht als intransparent angesehen sowie die Frage, ob der konkrete Bewegungsablauf eine erhöhte Kraftanstrengung im Vergleich zu normalen Abläufen des täglichen Lebens erfordert, nach den individuellen körperlichen Verhältnissen des Versicherten beurteilt und dabei nicht darauf abgestellt, ob die erhöhte Kraftanstrengung nur einmalig oder regelmäßig ausgeübt wurde. Das steht im Einklang mit dem zu einer vergleichbaren Klausel ergangenen Senatsurteil vom 20.11.2019 (zfs 2020, 99), dessen Erwägungen sich (…) auf den Streitfall übertragen lassen. Von den dort näher dargelegten Grundsätzen ist das BG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auch im Streitfall ausgegangen. Die insoweit von der Revisionserwiderung erhobenen Gegenrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).
[9] 2. Im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das BG den Riss der Supraspinatussehne als Verletzung i.S.v. Ziff. 1.4.1 AUB 2008 angesehen. Das ergibt die Auslegung der Klausel.
[10] a) AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (…).
[11] b) Bei der Beurteilung von Verletzungen in Bereichen, in welchen die Gliedmaßen – also Arme und Beine – mit dem Rumpf verbunden sind, wird sich der Versicherungsnehmer zunächst am Wortlaut von Ziff. 1.4.1 AUB 2008 orientieren. Er wird erkennen, dass die Klausel keine Verletzung der Gliedmaßen selbst fordert, sondern eine Verletzung an Gliedmaßen. Das wird er dahingehend verstehen, dass auch solche Körperteile erfasst werden sollen, die sowohl mit Gliedmaßen als auch mit dem Rumpf verbunden sind. Dazu wird er die im Streitfall verletzte Supraspinatussehne zählen, die als Teil der Rotatorenmanschette den Oberarm mit Schulter und Rumpf verbindet (vgl. LG Berlin r+s 2010, 253 …).
[12] Der systematische Zusammenhang der Klausel stützt den Versicherungsnehmer bei diesem Verständnis. Anhaltspunkte dafür, dass nur solche Körperteile Berücksichtigung finden sollen, die in vollem Umfang den Gliedmaßen zufallen, sind für ihn nicht erkennbar. Vergleicht er Ziff. 1.4.1 AUB 2008 mit der Gliedertaxe (Ziff. 2.1.2.2.1 AUB 2008), wird er erkennen, dass dort nicht auf Verletzungen an Gliedmaßen, sondern auf den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit des Armes und des Beins abgestellt wird. Während ihn nichts darauf hinweist, dass der gesamte Schultergürtel bei der Anwendung der Gliedertaxe dem Arm zuzurechnen wäre (vgl. Senat VersR 2015, 617 Rn 16), wird er die auf Verletzungen an Gliedmaßen abstellende Klausel in Ziff. 1.4.1 insoweit als weiter gefasst verstehen (vgl. Hugemann in: Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht, 2. Aufl., Ziff. 1 AUB 2010 Rn 6; Kloth/Piontek r+s 2017, 505, 508 f. …).
[13] Auf der Grundlage des Wortlauts und des systematischen Zusamme...