StVG § 7 § 18; ZPO § 286
Leitsatz
2. Der Kl. hat im Haftpflichtprozess grds. das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale und damit insb. auch des äußeren Tatbestands der Rechtsgutverletzung nach § 286 ZPO zu beweisen. Dagegen ist die Einwendung des Bekl., der Kl. sei mit dieser Verletzung seines Rechtsguts einverstanden gewesen, vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer darzutun und – ebenfalls nach § 286 ZPO – zu beweisen.
3. Zwar setzt § 286 ZPO gerade in Fällen der möglichen Unfallmanipulation nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraus; in der tatrichterlichen Aufforderung zur lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation liegt aber keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßes der vollen Überzeugung.
BGH, Urt. v. 1.10.2019 – VI ZR 164/18
Sachverhalt
Die klagende Schaustellerin betrieb im Jahre 2013 auf einem Schützenfest in H. einen Autoscooter. Gegen 2.00 Uhr in der Nacht fuhr der Bekl. zu 2) mit dem bei der Bekl. zu 1) haftpflichtversicherten Pkw der Bekl. zu 3) auf einem Fahrweg um die Ecke, kam nach links vom Fahrweg ab und fuhr in das Fahrgeschäft der Kl. hinein, das erheblich beschädigt wurde.
Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Das BG hat die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Die zugelassene Revision der Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das BG zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
[4] I. Das BG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass in der nach § 286 ZPO vorzunehmenden Gesamtschau der Indizien von einer Unfallmanipulation auszugehen sei. In der Gesamtheit der gegebenen Umstände sei eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Unfallmanipulation festzustellen (§ 286 ZPO), was zur Klageabweisung führen müsse. Für die erforderliche Überzeugungsbildung über die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines manipulierten Unfalls komme es nicht auf bestimmte, immer gleiche Beweisanzeichen an. Auch sei ohne Bedeutung, wenn sich für einzelne Indizien – isoliert betrachtet – eine plausible Erklärung finden lasse oder die Umstände jeweils für sich allein nicht den Schluss auf ein gestelltes Ereignis nahelegten. Entscheidend sei vielmehr die Werthaltigkeit der Beweisanzeichen. Der Berufungssenat sei davon überzeugt, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für ein unredliches Verhalten auch der Kl. ergebe.
[5] II. Die Revision hat Erfolg.
[6] 1. Mit der Begründung des BG lässt sich ein Ersatzanspruch der Kl. gegen die Bekl. aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG nicht verneinen. Das BG hat seiner Beweiswürdigung ein falsches Beweismaß zugrunde gelegt, indem es für seine Überzeugung vom Vorliegen einer Unfallmanipulation i.S.d. § 286 ZPO deren erhebliche Wahrscheinlichkeit hat genügen lassen.
[7] a) Nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln hat der Kl. im Haftpflichtprozess grds. das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale und damit insb. auch des äußeren Tatbestands der Rechtsgutverletzung zu beweisen. Insoweit gilt das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, das die volle Überzeugung des Tatgerichts erfordert. Dagegen ist die Einwendung des Bekl., der Kl. sei mit dieser Verletzung seines Rechtsguts einverstanden gewesen, vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer darzutun und – ebenfalls nach § 286 ZPO – zu beweisen (vgl. Senatsurt. v. 13.12.1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 345 = r+s 1978, 233, juris Rn 27 und – VI ZR 36/76, VersR 1978, 865, 866 = r+s 1978, 235, juris Rn 10 f.; v. 6.3.1978 – VI ZR 269/76, VersR 1979, 514 = r+s 1979, 165, juris Rn 9; v. 5.12.1978 – VI ZR 185/77, VersR 1979, 281, 282 juris Rn 9).
[8] b) Zwar hat der Senat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich der Tatrichter gerade in Fällen der möglichen Unfallmanipulation bewusst sein sollte, dass eine Überzeugungsbildung i.S.d. § 286 Abs. 1 ZPO nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraussetzt (Senatsurt. v. 13.12.1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 346 = r+s 1978, 233, juris Rn 28). Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. Senatsurt. v. 11.11.2014 – VI ZR 76/13, NJW 2015, 411 Rn 23; v. 16.4.2013 – VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Rn 8; v. 19.10.2010 – VI ZR 241/09, NJW 2011, 375 Rn 21; v. 12.2.2008 – VI ZR 221/06, VersR 2008, 644 = r+s 2008, 214, Rn 11; v. 4.11.2003 – VI ZR 28/03, NJW 2004, 777, 778, juris Rn 9; v. 18.1.2000 – VI ZR 375/98, VersR 2000, 503, 505 = r+s 2000, 197, juris Rn 18).
[9] Doch liegt in dieser Aufforderung zur lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßes der vollen Überzeugung. Irrig wäre daher die Annahme, der Tatrichter dürfe sich in Fällen d...