AKB 2012 E.1.3
Leitsatz
1. Ein Versicherungsnehmer, der nach einer Kollision mit der Leitplanke auf der Autobahn die Unfallörtlichkeit verlässt, anschließend auf einem Rastplatz die Beschädigungen an seinem Auto in Augenschein nimmt und seine Fahrt fortsetzt, ohne die Polizei und/oder seine Kaskoversicherung zu informieren, verletzt die Wartepflicht aus E.1.3 der AKB und verwirklicht den objektiven Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.
2. Hat der Versicherungsnehmer selbst durch die unterlassene Meldung an den Geschädigten, die Polizei oder auch die Kaskoversicherung eine Situation geschaffen, dass nähere Feststellungen insbesondere zur Unfallörtlichkeit im Nachhinein unmöglich werden, sind an die von ihm zu leistende Substantiierung zum Nichtvorliegen eines Schadens erhöhte Anforderungen zu stellen.
3. Entfernt sich der Versicherungsnehmer ohne Mitteilung an die Polizei oder die Kaskoversicherung von der Unfallstelle und holt er eine Mitteilung auch nicht unverzüglich nach, entstehen der Kaskoversicherung konkrete Feststellungsnachteile, da ihr Feststellungen zu einer möglichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugführers oder auch dazu, ob der Versicherungsnehmer überhaupt selbst das Fahrzeug gesteuert hat, nicht mehr möglich sind.
OLG Koblenz, Beschl. v. 28.12.2020 – 12 U 235/20
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. aus einer bestehenden Vollkaskoversicherung in Anspruch. Er ist Halter des Fahrzeugs M., das er von der M. GmbH geleast hat. Am 3.12.2016 befuhr der Kl. gegen 17.30 Uhr mit seinem Fahrzeug die Autobahn A4 Richtung A., als er ohne Fremdeinwirkung bei Tempo 100 km/h mit der linken Leitplanke kollidierte. Am Fahrzeug entstanden über die ganze linke Seite Streifspuren, welche der Kl. auf einem Rastplatz nach der Unfallstelle in Augenschein nahm. Die Schadensanzeige des Kl. gegenüber der Bekl. datiert vom 7.12.2016. Nach der von dem Kl. vorgelegten Rechnung über die Fahrzeugreparatur belief sich der Fahrzeugschaden auf 22.217,16 EUR.
2 Aus den Gründen:
"… Das LG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, weil dem Kl. gegen die Bekl. kein Anspruch auf Zahlung einer Versicherungsleistung aus dem zugrundeliegenden Vollkasko-Versicherungsvertrag zusteht. Die Bekl. ist wegen einer Obliegenheitsverletzung des Kl. leistungsfrei geworden, § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i.V.m. E.7.1 der dem Vertrag zugrundeliegenden AKB 2012. (…)"
1. Die Bekl. ist nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i.V.m. E.7.1 der dem Vertrag zugrundeliegenden AKB 2012 von ihrer Leistungspflicht freigeworden, da der Kl. die ihn treffende Aufklärungsobliegenheit gem. E.1.3 AKB vorsätzlich verletzt hat und den ihn obliegenden Kausalitätsgegenbeweis nicht erbringen kann.
Gem.E.1.3 AKB 2012 ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dazu gehört nicht nur die vollständige Beantwortung der Fragen des VR, sondern nach der ausdrücklichen Regelung in E.1.3 AKB 2012 auch, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Die letztgenannte Obliegenheit befindet sich erst seit Geltung der AKB 2008 in den AKB. In den bis 2008 verwendeten AKB war die Verpflichtung, die Unfallstelle nicht unerlaubt zu verlassen, nicht enthalten. Erst mit E.1.3 AKB 2008 wurde diese Verpflichtung des VN ausdrücklich in die AKB als versicherungsvertragliche Obliegenheit aufgenommen. Zuvor war seitens der Rspr. eine Reflexwirkung der strafrechtlichen Vorschrift des § 142 StGB angenommen worden mit der Folge, dass bei Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands dieser Norm auch die Aufklärungsobliegenheit verletzt war. Mit den AKB 2015 wurde der Tatbestand der Obliegenheit ausdrücklich an die Voraussetzungen des § 142 StGB gekoppelt (vgl. Prölss/Martin/Klimke VVG 30. Aufl. E.1.1 AKB 2015 Rn 22 m.w.N.; …).
Der Kl. macht geltend, ein Schaden an der Leitplanke sei bei einer nochmaligen Nachschau durch ihn am Folgetag bei Tageslicht, bei der er zweimal an der Unfallstelle vorbeigefahren sei, nicht erkennbar gewesen. Mangels Vorliegens eines Fremdschadens habe er den Tatbestand des § 142 StGB bereits objektiv nicht verwirklicht; die Verpflichtungen aus E.1.3 AKB könnten für den VN aber nicht weitergehen als diejenigen aus der strafrechtlichen Vorschrift.
Ob eine Obliegenheitsverletzung nach E.1.3 der AKB 2012 nur vorliegt, wenn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt sind (vgl. OLG Saarbrücken r+s 2016, 287; OLG München zfs 2016, 274; OLG Hamm r+s 2018, 423; …) oder ob die AKB 2012 – gleichlautend insofern die AKB 2008 – losgelöst von der Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 142 StGB die eigenständige Obliegenheit formulieren, den Unfallort ohne die Erfüllung der erforderlichen Feststellungen nicht zu verlassen, mit der Folge, dass die Obliegenheitsverletzung etwa auch in den Fällen zu bejahen ist, in denen es am Vorliegen eines Fremdschadens fehlt (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 2015, 286; OLG Frankfurt NZV 2016, 477; KG r+s 2016, 73), kann h...