VVG § 8, AKB E 1.1.3; StGB § 142
Leitsatz
Die Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und dabei die gesetzlich erforderliche Wartezeit zu erfüllen, ist dahin zu verstehen, dass von einem VN nicht mehr verlangt wird, als es § 142 Abs. 1 StGB verlangt.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Kassel, Urt. v. 24.8.2021 – 5 O 37/21
Sachverhalt
Der Kl. macht Ansprüche aus einem bei dem Bekl. unterhaltenen Kfz-Vollkaskoversicherungsvertrag wegen eines vermeintlichen Unfallereignisses geltend. Zwischen den Parteien steht dabei zum einen in Streit, ob sich das klägerseits beschriebene Unfallereignis überhaupt ereignet hat und – sofern dies der Fall gewesen sein sollte – die Bekl. wegen einer vermeintlichen Aufklärungsobliegenheitsverletzung des Kl. (hier: Unfallflucht) leistungsfrei ist.
Am 4.5.2020 meldete der Kl. ein behauptetes Unfallereignis vom "…" bei der "…" in "…" Mit Schreiben vom 15.3.2020 bat der Bekl. den Kl. um weitere Informationen, insbesondere dazu, ob der Unfall von der Polizei aufgenommen worden war, worauf der Kl. mit Schreiben vom 15.5.2020 antwortete.
Mit Schreiben vom 3.6.2020 lehnte der Bekl. seine Eintrittspflicht mit der Begründung ab, der Kl. habe eine Obliegenheitspflichtverletzung begangen, indem er sich unberechtigt von der Unfallstelle entfernt habe, bevor wesentliche Feststellungen hätten getroffen werden können.
Der Kl. behauptet, am "…" mit seinem Fahrzeug in der Mittagszeit die Autobahn "…" von "…" kommend in Richtung "…" gefahren zu sein. Mit ihm im Auto hätten Zeugen gesessen. Die Straßenverhältnisse seien zunächst trocken gewesen. Als er einen Tunnel durchquert habe, sei er unvermittelt in einen heftigen Hagel- und Graupelschauer geraten. Die Straße sei dabei sofort rutschig gewesen, sodass er mit dem Fahrzeug ins Schleudern gekommen und sodann zunächst mit der linken Fahrzeugseite an der Mittelleitplanke entlang geschlittert sei. Dann habe er sein Fahrzeug gegensteuern können, sei dabei jedoch beim Steuern auf den rechten Fahrstreifen auch noch gegen die rechte Leitplanke gestoßen. Anschließend sei er am rechten Seitensteifen zum Stehen gekommen. Nach Erholung vom ersten Schreck habe er sich zunächst den Schaden an seinem Fahrzeug angesehen und habe anschließend – ohne die Autobahn zu überqueren – nach den Leitplanken gesehen, ohne dass er dabei habe Schäden feststellen können.
Dann habe er – insoweit zwischen den Parteien unstreitig – festgestellt, dass sein Fahrzeug aufgrund der Schäden nicht weiterfahren konnte und beim ADAC angerufen, um einen Abschleppwagen zu bestellen.
Der Zeuge "…" habe zeitgleich bei der zuständigen Autobahnpolizeistelle angerufen und den Unfall dort gemeldet; dabei sei diesem jedoch mitgeteilt worden, dass derzeit wegen eines größeren Verkehrsunfalls in Gegenrichtung keine Streife entsandt werden könne und dass die Unfallstelle geräumt werden solle, sofern kein Fremdschaden entstanden sei.
Bis zum – unstreitigen – Eintreffen des Abschleppfahrzeuges habe der Kl. mit seinen beiden Fahrzeuginsassen etwa eine Dreiviertelstunde warten müssen. Auch während dieser Zeit hätten weder der Kl. noch die Zeugen irgendwelche Fremdschäden an Autobahneinrichtungen festgestellt.
2 Aus den Gründen:
Zitat
1. Dem Kl. steht gegen den Bekl. aus dem Vollkaskoversicherungsvertrag ein Anspruch auf Zahlung eines Betrages i.H.v. 13.600,00 EUR zu.
a) Das Gericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass das klägerseits behauptete Unfallereignis am … auf der Autobahn … stattgefunden hat. (wird ausgeführt)
b) Die Bekl. ist auch nicht nach E. 2.1 AKB i.V.m. § 28 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei. Ein Verstoß des Kl. gegen die in E. 1.1.3 AKB statuierte vertragliche Obliegenheit liegt nicht vor. Danach darf der VN den "Unfallort nicht verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht)."
Diese Voraussetzungen, für die die Bekl. darlegungs- und beweispflichtig ist (…), sind nicht erfüllt. Zunächst hat der Bekl. bereits nicht dargelegt, dass es vorliegend überhaupt zu einem erheblichen Fremdschaden an den Leitplanken gekommen ist (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1993, 1142; OLG Karlsruhe VersR 1995, 696 – jedenfalls ab 100 EUR zu bejahen). Denn insoweit hat der Bekl. lediglich behauptet, dass an den Leitplanken korrespondierende (sichtbare) Beschädigungen vorhanden seien und eine für die Leitplanken schadenfreie Kollision hingegen ausgeschlossen sei, was für sich genommen noch nichts darüber aussagt, ob es sich um eine erhebliche Beschädigung handelt.
Unabhängig davon, liegen aber auch die weiteren Voraussetzungen des § 142 Abs. 1 StGB nicht vor.
Dass unmittelbar nach dem Unfall feststellungsbereite Personen an der Unfallstelle gewesen wären – mithin ein Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgelegen hätte – wird beklagtenseits nicht vorgebracht. Soweit der Bekl. ferner lediglich bestreitet, dass d...