SGB X vom 23.12.2016 § 116 Abs. 6; VVG § 115 Abs. 1 S 1 Nr. 1 § 116 Abs. 1; BGB § 426 Abs. 1; PFlVG § 1
Leitsatz
1. Dem Übergang des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des schädigenden Fahrzeugführers auf den Sozialversicherungsträger stand auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 116 Abs. 1 VVG das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X a.F. entgegen. (Rn. 11)
2. Der Anspruch gegen den nicht dem Familienprivileg unterfallenden Fahrzeughalter konnte vom Sozialversicherungsträger nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld gegenüber dem Kfz-Haftpflichtversicherer aufgrund seiner Akzessorietät nicht geltend gemacht werden, weil im Innenverhältnis zwischen Halter und Fahrzeugführer der letztere allein für die Unfallfolgen einzustehen hatte. (Rn. 20)
BGHUrt. v. 7.12.2021 – VI ZR 1189/20
Sachverhalt
[1] Die Klägerinnen, eine gesetzliche Krankenversicherung und eine Pflegekasse, nehmen den beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht ihres Versicherten J. auf Ersatz materiellen Schadens in Anspruch.
[2] Der zum damaligen Zeitpunkt 1 ½ jährige J. saß am 15.2.2016 als Beifahrer in einem von seiner Mutter gelenkten Pkw, dessen Halterin seine Großmutter und dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte war. Das Fahrzeug geriet bei einem Bremsvorgang ins Schleudern, die Fahrerin verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und es kam zu einer frontalen Kollision mit einem entgegenkommenden Lkw. Der Unfall ist von der Fahrerin allein verursacht worden. J. wurde dabei sehr schwer verletzt. Zum Unfallzeitpunkt lebte er in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Mutter.
[3] Die Klägerinnen haben Leistungen, insbesondere Krankenhausbehandlungen und Pflege, für J. erbracht und sind der Auffassung, dass das Angehörigenprivileg des § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X a.F. und die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld einem Übergang des Direktanspruchs des J. gegen den Unfallhaftpflichtversicherer gemäß § 116 Abs. 1 SGB X wegen § 116 Abs. 1 VVG nicht entgegenstünden.
[4] Das Landgericht hat die zunächst von der Klägerin zu 1 erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin zu 1 und nach der Erweiterung der Klage durch Beitritt der Klägerin zu 2 (GA 203 ff.) hat das Oberlandesgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu 1 297.787,14 EUR nebst Zinsen zu zahlen und hinsichtlich beider Klägerinnen jeweils festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihnen sämtliche weiter entstandenen und entstehenden erforderlichen Aufwendungen betreffend ihr Mitglied J. aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15.2.2016 zu erstatten.
[5] Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
2 Aus den Gründen:
[6] I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin zu 1 gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht einen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X. Unstreitig sei das Kind J. bei dem Verkehrsunfall, der sich bei dem Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kfz ereignet habe und von der Fahrerin, seiner Mutter, allein verursacht worden sei, schwer verletzt worden. Damit seien Ansprüche des Kindes gegen die Fahrerin aus § 18 Abs. 1 StVG, gegen die Halterin aus § 7 Abs. 1 StVG und gegen die Beklagte aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG entstanden. Seien Fahrerin, Halterin und Haftpflichtversicherer damit – jedenfalls für eine logische Sekunde – Gesamtschuldner, so seien gemäß § 116 Abs. 1 SGB X die Ansprüche des geschädigten Kindes gegen die Halterin und den Haftpflichtversicherer auf den Versicherungsträger, die Klägerin zu 1, übergegangen, soweit diese aufgrund des Schadensereignisses kongruente Sozialleistungen zu erbringen habe. Dieser Übergang erfolge bereits im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses, wenn eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers gegenüber dem Verletzten irgendwie in Betracht komme. Nicht von dem Übergang umfasst sei der Anspruch des Kindes gegen die Mutter, die Fahrerin, dies ergebe sich aus § 116 Abs. 6 SGB X a.F.im, wonach der Anspruchsübergang bei nicht vorsätzlichen Schädigungen durch Familienangehörige, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft lebten, ausgeschlossen sei. Nicht betroffen vom Ausschluss nach § 116 Abs. 6 SGB X a.F. sei der Anspruch des Kindes gegen die Halterin, die Großmutter; es stehe nämlich nicht fest, dass der Geschädigte auch mit seiner Großmutter in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Dem Übergang des Anspruches gegen die Halterin und damit auch des akzessorischen Anspruchs gegen die Beklagte stünden die Rechtsprechungsgrundsätze zum gestörten Gesamtschuldverhältnis bzw. zum eingeschränkten Umfang des Rückgriffs des Sozialversicherungsträgers nicht entgegen. Nach diesen Grundsätzen könne im Falle einer Schädigung durch einen familienangehörigen Erstschädiger und einen nichtangehörigen Zweitschädiger der Sozialversicherungsträger beim Zweitschädig...