BGB § 812 Abs. 1 S. 1, VVG § 125, ARB 2010 § 17 Abs. 2
Leitsatz
Der VR kann eine von ihm erteilte Deckungszusage nur dann kondizieren oder widerrufen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass Gründe für eine Leistungsverweigerung vorliegen, auf die sich der VR noch berufen darf.
(Leitsatz der Schriftleitung)
KG Beschl. v. 22.10.2021 – 6 U 1023/20
1 Aus den Gründen:
Zitat
… Zu Recht hat das LG die Klage abgewiesen. Der Kl. steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung erbrachter Rechtschutzversicherungsleistungen i.H.v. 4.552,66 EUR zuzüglich Nebenforderungen nicht zu, weil sie die Versicherungsleistungen auf der Grundlage einer – zumindest konkludent durch die Erbringung der Versicherungsleistungen – erteilten Deckungszusage und damit nicht "ohne Rechtsgrund" i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB erbracht hat.
Die Deckungszusage des Rechtschutzversicherers stellt nach allgemeiner Ansicht ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar (BGH NJW 2014, 3030), das einen Vertrauenstatbestand erzeugt, der es dem VR bei einer fehlerhaften Einschätzung des Sachverhaltes verwehrt, sich auf die inhaltliche Unrichtigkeit seiner Deckungszusage zu berufen. Denn das deklaratorische Schuldanerkenntnis hat zur Folge, dass der Rechtschutzversicherer mit späteren Einwendungen und Einreden tatsächlicher oder rechtlicher Natur ausgeschlossen bleibt, soweit sie ihm bei Abgabe der Deckungszusage bereits bekannt waren oder er sie zumindest für möglich gehalten hatte oder mit ihnen rechnete. Gleiches gilt für Einwendungen, die der Rechtschutzversicherer bei gehöriger Prüfung des Sachverhaltes hätte erkennen können (OLG Saarbrücken VersR 2006, 692).
Vorliegend hatte die Kl. den Versicherungsschutz nicht wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt, sondern Deckung in Form der Erbringung von Versicherungsleistungen gewährt. Ein nachträgliches Leistungsverweigerungsrecht, dass mit fehlenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung begründet werden könnte, bestand im Zeitpunkt des Schreibens vom 6.12.2018 nicht mehr (vgl. BGH zfs 2014, 581), weil der Kl. vor ihrer Deckungsentscheidung eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten möglich war. Ihr war bereits mit der Deckungsanfrage vom 22.11.2012 der Sachverhalt vollständig vorgetragen und zugleich rechtlich bewertet worden. Auch der zur Hemmung der Verjährung eingereichte Güteantrag vom 29.12.2011 lag ihr vor. Auf dieser Grundlage war der Kl. eine Bewertung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung möglich, was auch ihre Nachfragen vom 7.12.2012 und vom 10.12.2012 belegen.
Der Kl. stand vor diesem Hintergrund im Dezember 2018 auch nicht die Möglichkeit zu, ihre konkludent erteilte Deckungszusage zu kondizieren oder zu widerrufen. Denn vor dem Hintergrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes bestünde eine solche Möglichkeit nur dann, wenn sich im Nachherein herausstellt, dass Gründe für eine Leistungsverweigerung vorliegen, auf die sich der Rechtschutzversicherer im Zeitpunkt des Widerrufs noch immer berufen kann (OLG Celle BeckRS 2008, 20879). Hieran fehlte es jedoch vorliegend, weil die Zedentin die Erfolgsaussichten der vom Bekl. beabsichtigten Rechtsverfolgung bereits vor Erteilung der Deckungszusage bzw. der Erbringung der Rechtschutzleistungen im Rahmen des § 17 Abs. 4 ARB hätte prüfen können und müssen. Denn im Rahmen des Rechtschutzversicherungsverhältnisses hat der VN grds. einen Anspruch auf Erteilung einer Deckungszusage, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung von Rechtsschutz gegeben sind, während es dem VR in dem Fall, in dem die Voraussetzungen für die Gewährung von Rechtsschutz nicht gegeben sind, obliegt, die Deckung ausdrücklich zu versagen und den VN auf die Möglichkeit des Stichentscheidverfahrens hinzuweisen. Die Möglichkeit, eine Deckungszusage zu erteilen, diese aber zugleich unter eine Bedingung oder einen Vorbehalt zu stellen, eröffnet § 17 Abs. 4 ARB dagegen nicht …
zfs 4/2022, S. 221 - 222