BGB § 249 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
Gelingt es dem Geschädigten entgegen der Einschätzung des von ihm beauftragten Sachverständigen zur Überzeugung des Tatrichters, die erforderliche Reparatur seines Fahrzeugs unter Berücksichtigung eines merkantilen Minderwerts innerhalb der 130 %-Grenze fachgerecht und in einem Umfang durchzuführen, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, und stellt der Geschädigte damit den Zustand seines Fahrzeugs wie vor dem Unfall wieder her, um es nach der Reparatur weiter zu nutzen, kann er Ersatz des entstandenen Reparaturaufwands verlangen. (Rn.10)
BGH, Urt. v. 16.11.2021 – VI ZR 100/20
Sachverhalt
[1] Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 3.2.2015, bei dem sein Fahrzeug durch ein von der Beklagten gehaltenes Fahrzeug beschädigt wurde. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit. Der vom Kläger nach dem Unfall mit der Begutachtung des Kraftfahrzeugschadens beauftragte Sachverständige ermittelte voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 7.148,84 EUR brutto, einen Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs von 4.500 EUR brutto und einen Restwert von 1.210 EUR brutto. Die Beklagte regulierte den Schaden auf der Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwands. Sie brachte von dem vom Sachverständigen geschätzten Wiederbeschaffungswert einen mit Hilfe einer Restwert-Online-Börse ermittelten Wert in Höhe von 1.420 EUR in Abzug und zahlte an den Kläger 3.080 EUR. Der Kläger ließ sein Fahrzeug bei der Dienstleistungsgesellschaft A. zum Preis von 5.695,49 EUR brutto reparieren und nutzte es weiter.
[2] Mit der Klage macht der Kläger die Differenz in Höhe von 2.615,49 EUR zwischen den angefallenen Reparaturkosten und der Zahlung der Beklagten geltend. Während des erstinstanzlichen Verfahrens – im September 2017 – hat der Kläger sein Fahrzeug veräußert. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
2 Aus den Gründen:
[3] I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Reparaturkosten aus § 7 StVG, § 823 Abs. 1 BGB zu. Zwar habe der vom Kläger nach dem Unfall beauftragte Sachverständige die voraussichtlichen Kosten der Reparatur auf über 130 % des Wiederbeschaffungswerts geschätzt. Dieses Gutachten habe aber keine absolute Bedeutung für die Frage, welche Reparaturkosten tatsächlich erstattungsfähig seien. Gelinge es dem Geschädigten, unter Verwendung von Gebrauchtteilen eine fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten unter Berücksichtigung eines etwaigen merkantilen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % überstiegen, könne ihm eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden. So verhalte es sich im Streitfall. Dem Kläger sei der Beweis gelungen, dass die Reparatur sach- und fachgerecht und in einem den Vorgaben des vorgerichtlichen Sachverständigen entsprechenden Umfang durchgeführt worden sei. Die Kammer sei gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen worden seien. Der gerichtliche Sachverständige habe die Behauptung des Klägers, die Reparatur entspreche dem im außergerichtlichen Gutachten vorgegebenen Reparaturweg, bestätigt. Aus der Auswertung der vor, während und nach der Reparatur gefertigten Lichtbilder habe der Sachverständige darüber hinaus auch eine sach- und fachgerechte Reparatur bejaht. Dies habe ihm als Gutachtengrundlage ausgereicht, auch wenn er in der Zusammenfassung lediglich angegeben habe, dass keine Anzeichen vorhanden seien, die gegen eine sach- und fachgerechte Reparatur sprechen würden. Die Lichtbilder dokumentierten jedoch den Reparaturverlauf hinreichend deutlich. Auch der außergerichtliche Sachverständige habe in seinem Schreiben vom 20.3.2015 bestätigt, dass Restunfallspuren oder Hinweise mit Querverweis auf eine nicht fachgerechte Reparatur nicht vorgefunden worden seien. Unter Berücksichtigung des herabgesenkten Beweismaßes des § 287 ZPO seien damit trotz der fehlenden Möglichkeit der Besichtigung des Fahrzeugs die festgestellten Anknüpfungstatsachen ausreichend zur Beantwortung der Beweisfragen gewesen. Das Amtsgericht habe auch zutreffend eine Anwendung der Grundsätze zur Beweisvereitelung abgelehnt. Für den Verkauf des Fahrzeugs über zweieinhalb Jahre nach dem Verkehrsunfallgeschehen habe der Kläger einen hinreichenden Grund (Getriebeschaden) angegeben. Unstreitig habe der Kläger darüber hinaus vorgetragen, dass er den gerichtlichen Sachverständigen im August 2017 angerufen und ihm mitgeteilt habe, dass das Fahrzeug wegen eines Getriebeschadens nicht mehr fahrtüchtig sei. Er habe ihm daraufhin auf dessen Anweisung Lichtbilder zum Ablauf der Reparatur übersandt.