OWiG § 51; ZPO § 180; BGB § 242
Leitsatz
Die Wirksamkeit der Ersatzzustellung eines Bußgeldbescheides durch Niederlegung in den zur Wohnung bzw. zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten erfordert, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist bzw. einen Geschäftsraum unterhält. Der bloße, ihm zurechenbare Rechtsschein, er unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, genügt für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Allerdings stellt es eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn sich ein Betroffener auf die Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung beruft, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat (Anschluss an BGH, Urt. v. 16.6.2011 – III ZR 342/09, BGHZ 190, 99 und OLG Hamm, Beschl. v. 27.1.2015 – III-3 RBs 5/15, NStZ 2015, 525).
BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 201 ObOWi 1475/21
Sachverhalt
Gegen die Betroffene erging am 17.8.2020 ein Bußgeldbescheid über 160 EUR mit Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Gegen den ausweislich der Postzustellungsurkunde am 19.8.2020 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.8.2020, bei der Behörde eingegangen am selben Tag, Einspruch eingelegt. Nach Eingang der Akten beim Amtsgericht hat dieses mehrfach Termine zur Hauptverhandlung anberaumt. Die Betroffene ist zur Hauptverhandlung nicht erschienen, der Einspruch wurde verworfen. In ihrer Rechtsbeschwerde behauptet die Betroffene u.a. den Eintritt der Verfolgungsverjährung. Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich als unbegründet.
1. Ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG ist grundsätzlich nur mit einer Verfahrensrüge angreifbar, die den Anforderungen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügen muss. Diesen strengen Anforderungen genügt das Rechtsbeschwerdevorbringen nicht. Zur Begründung wird auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 1.11.2021 Bezug genommen. Ergänzend verweist der Senat auf die Beschlüsse des BayObLGvom 9.10.2020 (202 StRR 94/20 = BeckRS 2020, 28882) und des OLG Hamm vom 21.3.2018 (1 RBs 137/17 = BeckRS 2018, 17525).
2. Die Sachrüge reicht als notwendige Begründung des Rechtsmittels aus, führt aber nur zu der Nachprüfung von Verfahrenshindernissen (BayObLG, Beschl. v. 27.6.1996 – 3 ObOWi 76/96 – NStZ-RR 1997, 182). Solche sind hier nicht gegeben, insbesondere liegt Verfolgungsverjährung nicht vor.
a) Die Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, ist als Verfahrensvoraussetzung bzw. als Verfahrenshindernis vom Senat im Rahmen der Rechtsbeschwerde von Amts wegen eigenständig unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren zu überprüfen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 31 Rn 17, 19; OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.3.2012 – 6 Ss 54/12 – DAR 2012, 402).
b) Die Verjährungsfrist betrug für den verfahrensgegenständlichen Verstoß drei Monate (§ 26 Abs. 3 1. Hs. StVG). Sie begann am 26.4.2020, dem Tattag (§ 31 Abs. 3 S. 1 OWiG), wurde zunächst durch die am 25.5.2020 erfolgte Anordnung der Anhörung der Betroffenen (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG) und dann durch den Erlass des Bußgeldbescheides vom 17.8.2020 (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG) unterbrochen, da sich die Betroffene so behandeln lassen muss, als sei der Bußgeldbescheid am 19.8.2020 wirksam zugestellt worden.
aa) Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde:
Der Verkehrsverstoß war mit einem bei der Autovermietung A angemieteten Fahrzeug begangen worden. Die Firma A teilte unter dem 15.5.2020 mit, dass Mieterin die Betroffene war und kein eingetragener zweiter Mieter vorhanden sei. Als Anschrift der Betroffenen teilte die Firma A die F.-Straße 4 in M. mit. Die Zustellung des Bußgeldbescheides erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde am 19.8.2020 durch Einlegung in den zum Geschäftsraum F.-straße 4 in M. gehörenden Briefkasten. Der Verteidiger hat unter dem 24.8.2020 "namens und im Auftrag der Mandantschaft" Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz vom 22.9.2020 beantragte der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung und machte geltend, dass die Betroffene weder unter dieser Anschrift in M. wohne noch dort über Geschäftsräume verfüge. An dieser Adresse befände sich lediglich eine Firma X. GmbH, die trotz desselben Namens nichts mit der Betroffenen zu tun habe; die Betroffene sei weder Geschäftsführerin noch Gesellschafterin. Bedauerlicherweise werde diese Adresse häufiger genutzt, um der Betroffenen etwas zuzustellen. Deshalb wisse diese Firma, wer der Verteidiger der Betroffenen ist, und habe deshalb dem Verteidiger den Bußgeldbescheid in Kopie weitergeleitet. Tatsächlich war die Betroffene nur bis zum 12.12.2011 unter dieser Anschrift in M. gemeldet. Auf Anfrage die Tatrichterin vom 4.11.2020 nach der zutreffenden aktuellen...