Zitat
… Zu Recht hat das LG die Klage wegen einer Verletzung der Obliegenheit, am Unfallort eine angemessene Zeit zu warten, abgewiesen.
1. Die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls gem. Ziffer A.2.3.2 AKB (Unfall) liegen unstreitig vor, nachdem der Kl. mit seinem bei der Bekl. versicherten Pkw am 27.4.2013 von der Straße abkam und in den Gartenzaun des Anwesens 2 in D. fuhr.
2. Die Bekl. ist aber nach E.6.1 AKB leistungsfrei geworden, weil der Kl. gegen die sich aus E.1.3 AKB ergebenden Obliegenheiten verstoßen hat. Ein Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dass sich der Kl. von dem Unfallort entfernt hat, ohne Feststellungen zu ermöglichen.
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. …
Nach E.1.3 AKB ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insb. darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Der verständige VN wird diese Verpflichtung jedenfalls auf den ihm bekannten Straftatbestand der "Unfallflucht" gem. § 142 Abs. 1 StGB beziehen (…).
Bereits zu den früheren Fassungen der AKB war anerkannt, dass die vertragliche Obliegenheit, "alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann", jedenfalls die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasst (BGH NJW 2000 134). Dies gilt erst Recht für die Fassung der AKB 2010, in denen die Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, ausdrücklich genannt ist (vgl. OLG Saarbrücken, zfs 2016, 211 …) Ob dem VN durch E.1.3 AKB über die durch § 142 StGB statuierten Pflichten hinaus weitergehende Obliegenheiten auferlegt werden, insb. ob eine Obliegenheitsverletzung auch bereits dann zu bejahen sein kann, wenn der Tatbestand des § 142 StGB nicht vollständig erfüllt ist (dahingehend OLG Stuttgart, zfs 2015, 96 m. Anm. Rixecker …), erscheint zweifelhaft, ist vorliegend aber unerheblich, da eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 StGB vorliegt.
b) Der Kl. hat vorliegend den Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort dadurch verwirklicht, dass er entgegen den Vorgaben des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB keine angemessene Zeit auf eine feststellungsbereite Person gewartet hat.
aa) Die Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestands der Strafvorschrift darzulegen und zu beweisen – insb. auch die Kenntnis des VNs von dem Entstehen eines nicht nur ganz unerheblichen Schadens an fremden Rechtsgütern –, obliegt grunds. dem VR (vgl. Senat NJW-RR 2008, 1248 …). Vorliegend sind diese Voraussetzungen allerdings unstreitig gegeben, da der Kl. selbst einräumt, die Unfallstelle trotz Erkennens der Schäden an dem Zaun alsbald wieder verlassen zu haben, ohne auf hinzukommende Personen zu warten.
bb) Ist – wie vorliegend zugunsten des Kl. anzunehmen – kein Feststellungsberechtigter anwesend, so verlangt § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass "eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet" wird, bevor der Unfallort verlassen wird. Der Umfang der Wartepflicht beurteilt sich nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit (Senat zfs 2020, 568). Ob überhaupt und wie lange der Beteiligte am Unfallort zu warten hat, richtet sich mithin nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 142, Rn 36 m.w.N.). Die Bestimmung der Angemessenheit der Wartezeit ist abhängig von dem voraussichtlichen Eintreffen feststellungsbereiter Personen (Zopfs, in MüKo-StGB, 4. Aufl. 2021, StGB § 142 Rn 81 f.). Dies ist regelmäßig unter anderem abhängig von dem Unfallort sowie der Tageszeit, weiter ist auch das Feststellungsinteresse des Berechtigten zu berücksichtigen (vgl. Zopfs a.a.O. Rn 81 und 84.). Je größer das Ausmaß des Schadens ist, desto länger ist grunds. die Wartefrist. Zu berücksichtigen ist außerdem ggf. das Interesse des Unfallbeteiligten an einem frühzeitigen Verlassen des Unfallortes (…). Eine darüber hinausgehende Verpflichtung, die Polizei herbeizurufen, selbst wenn nach den konkreten Umständen zu erwarten ist, dass sich anderenfalls die Möglichkeiten der Feststellung für die Leistungspflicht des VRs relevanter Umstände – insb. zu dem im vorliegenden Fall ausdrücklich genannten Alkohol- oder Drogenkonsum – verschlechtern, besteht hingegen nicht (OLG Saarbrücken zfs 2016,211).
cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen bestand, worauf der Kl. insoweit zu Recht abstellt, zwar keine Pflicht, unmittelbar nach dem Unfall die Polizei herbeizurufen, wohl aber die Verpflichtung, eine angemessene Zeit – wobei von einem Zeitraum zwischen mindestens 15 und 30 Minuten auszugehen ist – zu warten.
Durch den Unfall war erkennbar ein Fremdschaden deutlich oberhalb der Bagatellgrenze von maximal 100,00 EUR (…) entstanden...