VVG § 28, StGB § 142 Abs. 1, AKB E 1.3. E 6.1. 6.2
Leitsatz
Der VR ist wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit leistungsfrei, wenn sich der VN nach der Beschädigung eines Gartenzauns (Schaden rund 1.000 EUR) ohne zu warten vom Unfallort entfernt, auch wenn er am folgenden Tag Kontakt zu den Bewohnern des Anwesens aufgenommen haben sollte.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Karlsruhe Urt. v. 20.1.2022 – 12 U 267/21
Sachverhalt
Der Kl. unterhielt bei der Bekl. eine Vollkasko- und Kfz-Haftpflichtversicherung. Dem Versicherungsvertrag lagen die AKB 2021 zugrunde.
Dort heißt es unter E.1.3 (Aufklärungspflicht):
"Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Dies bedeutet insb., dass Sie […] den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen."
Am 27.4.2013 gegen 23:00 Uhr kam der Kl. etwa 150 Meter von seiner Wohnung entfernt in Höhe des Anwesens M-Straße 2 in D ohne Fremdbeteiligung mit seinem bei der Bekl. versicherten Kfz von der Straße ab und fuhr in den sich auf dem vorgenannten Grundstück befindlichen Gartenzaun, der dabei beschädigt wurde. Die Reparaturkosten für den Zaun beliefen sich auf 996,98 EUR. Der Kl. erkannte den am Gartenzaun verursachten Schaden. Er entfernte sich alsbald vom Unfallort, ohne zuvor die Bewohner oder die Polizei zu kontaktieren. Am Morgen des 28.4.2013 stellte ein Dritter den Schaden fest und informierte die Hausverwaltung, die den Schaden an diesem Tag um 10.00 Uhr der Polizei meldete. Die Polizei konnte aufgrund eines am Unfallort vorgefundenen Fahrzeugteils den Kl. als Unfallbeteiligten ermitteln. Eine Regulierung des Schadens am Fahrzeug des Kl.s lehnte die Bekl. unter Verweis auf einen Verstoß gegen die Warteobliegenheit des Kl.s am Unfallort ab.
2 Aus den Gründen:
Zitat
… Zu Recht hat das LG die Klage wegen einer Verletzung der Obliegenheit, am Unfallort eine angemessene Zeit zu warten, abgewiesen.
1. Die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls gem. Ziffer A.2.3.2 AKB (Unfall) liegen unstreitig vor, nachdem der Kl. mit seinem bei der Bekl. versicherten Pkw am 27.4.2013 von der Straße abkam und in den Gartenzaun des Anwesens 2 in D. fuhr.
2. Die Bekl. ist aber nach E.6.1 AKB leistungsfrei geworden, weil der Kl. gegen die sich aus E.1.3 AKB ergebenden Obliegenheiten verstoßen hat. Ein Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dass sich der Kl. von dem Unfallort entfernt hat, ohne Feststellungen zu ermöglichen.
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. …
Nach E.1.3 AKB ist der VN verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insb. darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Der verständige VN wird diese Verpflichtung jedenfalls auf den ihm bekannten Straftatbestand der "Unfallflucht" gem. § 142 Abs. 1 StGB beziehen (…).
Bereits zu den früheren Fassungen der AKB war anerkannt, dass die vertragliche Obliegenheit, "alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann", jedenfalls die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasst (BGH NJW 2000 134). Dies gilt erst Recht für die Fassung der AKB 2010, in denen die Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, ausdrücklich genannt ist (vgl. OLG Saarbrücken, zfs 2016, 211 …) Ob dem VN durch E.1.3 AKB über die durch § 142 StGB statuierten Pflichten hinaus weitergehende Obliegenheiten auferlegt werden, insb. ob eine Obliegenheitsverletzung auch bereits dann zu bejahen sein kann, wenn der Tatbestand des § 142 StGB nicht vollständig erfüllt ist (dahingehend OLG Stuttgart, zfs 2015, 96 m. Anm. Rixecker …), erscheint zweifelhaft, ist vorliegend aber unerheblich, da eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 StGB vorliegt.
b) Der Kl. hat vorliegend den Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort dadurch verwirklicht, dass er entgegen den Vorgaben des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB keine angemessene Zeit auf eine feststellungsbereite Person gewartet hat.
aa) Die Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestands der Strafvorschrift darzulegen und zu beweisen – insb. auch die Kenntnis des VNs von dem Entstehen eines nicht nur ganz unerheblichen Schadens an fremden Rechtsgütern –, obliegt grunds. dem VR (vgl. Senat NJW-RR 2008, 1248 …). Vorliegend sind diese Voraussetzungen allerdings unstreitig gegeben, da der Kl. selbst einräumt, die Unfallstelle trotz Erkennens der Schäden an dem Zaun alsbald wieder verlassen zu haben, ohne auf hinzukommende Personen zu warten.
bb) Ist – wie vorliegend zugunsten des Kl. anzunehmen – kein Feststellungsberechtigter anwesend, so verlangt § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass "eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet" wird, bevor der Unfallort verl...