StVO § 3; StPO § 261 § 267 Abs. 5
Leitsatz
1. Wird bei der Durchführung einer amtlichen Geschwindigkeitsmessung von den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers abgewichen, gibt dies Anlass zu der Überprüfung, ob das erzielte Messergebnis den Vorgaben eines sog. standardisierten Messverfahrens entspricht.
2. Abweichungen von Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers vermögen das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage zu stellen, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist.
BayObLG, Beschl. v. 21.11.2022 – 201 ObOWi 1291/22
1 Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf, fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 34 km/h überschritten zu haben, freigesprochen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der Rechtsbeschwerde und begründet diese mit der Sachrüge sowie mit der Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht. Das BayObLG hat das Urteil des AG aufgehoben und die zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat bereits auf die Sachrüge hin Erfolg, sodass es auf die erhobene Aufklärungsrüge nicht mehr ankommt. Die angefochtene Entscheidung unterliegt der Aufhebung, weil die den Freispruch aus tatsächlichen Gründen tragende Beweiswürdigung lückenhaft ist (§ 267 Abs. 5 S. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG).
1. Nach den Feststellungen des AG erfolgte die Geschwindigkeitsmessung mit einem geeichten Messgerät PoliScanSpeed, Softwareversion 3.2.4., welches zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Messung auf einem Stativ auf einer Rasenfläche neben der Fahrbahn aufgestellt war. Das Amtsgericht sah es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen an, dass das Messgerät entgegen den Vorgaben in Ziffer 7.1.1 der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt gewesen sei. So habe der als Zeuge vernommene Messbeamte zwar pauschal bestätigt, dass er die Messung entsprechend seiner Schulung und gemäß der Bedienungsanleitung durchgeführt habe, sich aber nicht mit Sicherheit daran erinnern können, dass er auf ausreichend festen Untergrund bei der Aufstellung des Messgeräts im Stativbetrieb geachtet habe. Zudem habe der hinzugezogene Sachverständige für Geräte zur Verkehrsüberwachung feststellen können, dass sich während der Messung der horizontale Schwenkwinkel des Messgerätes verändert habe, und daraus den Schluss gezogen, dass das Messgerät nicht auf einem hinreichend festen Untergrund aufgestellt worden sei und damit ein Verstoß gegen die Bedienungsanleitung vorliege. Das Amtsgericht ging deshalb nicht vom Vorliegen einer Messung im sog. standardisierten Messverfahren aus. Die damit erforderliche nachträgliche individuelle Überprüfung auf Messfehler sei dem Sachverständigen aufgrund der ihm vorliegenden Anknüpfungstatsachen aber nicht möglich gewesen, da die hierzu von ihm benötigten Daten durch das Gerät nicht gespeichert werden. Daher sei der Betroffene freizusprechen.
2. Das Rechtsbeschwerdegericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Betroffenen freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag (st.Rspr.; BGH, Urt. v. 26.1.2021 – 1 StR 376/20; Beschl. v. 22.10.2019 – 1 StR 219/17; Urt. v. 29.4.2015 – 5 StR 79/15; v. 12.2.2015 – 4 StR 420/14 und v. 11.8.2011 – 4 StR 191/11). Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 13.10.2020 – 1 StR 299/20; 29.4.2015 – 5 StR 79/15 und v. 11.8.2011 – 4 StR 191/11). So liegt der Fall hier.
3. Zwar hat das Amtsgericht im Ansatz zutreffend erkannt, dass es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mittels des Messgerätes PoliScanSpeed um ein sog. standardisiertes Messverfahren handelt (st.Rspr., vgl. nur jüngst OLG Naumburg, Beschl. v. 25.1.2021 – 1 Ws 205/20). Bei Verwendung eines von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (im Folgenden: PTB) zugelassenen und gültig geeichten Messgeräts, das durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung bedient wurde, ist das Tatgericht nicht gehalten, weitere technische Prüfungen, insbesondere auch zur Funktionsweise des Geräts zu veranlassen. Nur wenn sich im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte ergeben, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen, kann eine nähere Überprüfung des gemessenen Geschwindigkeitswerte...