JVEG § 21 S. 1; BGB § 249 Abs. 1; ZPO § 287 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Bei der Bemessung des Haushaltsführungsschadens der Höhe nach kann entsprechend der gesetzgeberischen Bewertung auf § 21 JVEG zurückgegriffen werden (Festhaltung LG Tübingen, Urt. v. 10.12.2013 – 5 O 80/13 und LG Tübingen, Urt. v. 15.9.2022 – 5 O 29/21; entgegen OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.2018 – 22 U 97/16).
LG Tübingen, Urt. v. 6.12.2022 – 5 O 183/21
1 Sachverhalt
Mit der Klage wird Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht, der sich am 9.11.2020 in T ereignet hat.
Der bei der Beklagten Zf.1 versicherte Kraftwagen fuhr unter Missachtung der Vorfahrt der Klägerin beim Linksabbiegen frontal in den ordnungsgemäß von der Klägerin gelenkten Pkw.
Die Parteien sind sich über die alleinige Haftung der Beklagten einig.
Die Klägerin, Dialysepatientin, erlitt in ihrem Umfang streitige Verletzungen.
Die Beklagte hat vorgerichtlich 500,00 EUR Schmerzensgeld und weitere materielle Schadenspositionen, die hier nicht anhängig sind, bezahlt.
Die Klägerin trägt weiter vor:
Durch den Unfall wäre sie wie folgt verletzt worden:
Handgelenksdistorsion links
Thoraxprellung links
Nasenprellung
Kniegelenksdistorsion rechts
Durch den Unfall wären fortdauernde gesundheitliche Folgen aufgetreten, zudem wären auch psychische Beschwerden aufgetreten.
Die Klägerin geht davon aus, dass ein Schmerzensgeld von insgesamt 10.000,00 EUR angemessen wäre, auf die bereits 500,00 EUR bezahlt worden sind.
Der Klägerin trägt weiter vor, dass das Passieren der Unfallstelle immer noch belastend wäre und sie Probleme beim Ankleiden habe.
Die Klägerin trägt weiter vor, dass ihr ein materieller Schaden entstanden wäre: Haushaltsführungsschaden (2.794,27 EUR), eine unfallbedingt verlorene Brille (netto 218,10 EUR lt. Rg. v. 26.11.2020 betreffend Ersatzbrille) und ein unfallbedingt zerstörtes Mobiltelefon (netto 499,14 EUR lt. Rg. v. 2.12.2020) sie einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von nach folgender Berechnung erlitten habe:
1. 9.11.2020 bis 31.12.2020: 52 / 7 × 30 × 0,8 × 10,00 EUR = 1.782,85 EUR
2. 1.1.2021 bis 28.2.2021: 59 / 7 × 30 × 0,4 × 10,00 EUR = 1.011,43 EUR
Gesamt 2.794,28 EUR
Die Klägerin bewohnt nach ihren Angaben eine 70 qm – Wohnung, zusammen mit einem zu 100 % schwerbehinderten Sohn. Ein Hund lebt im Haushalt, den sie vor dem Unfall zu 100 % bewältigt habe und der 52 h/Woche erfordert habe.
Die Klägerin stellt folgende Anträge:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 3.511,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 3.3.2021 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld abzüglich bereits bezahlter 500,00 EUR wegen des Unfalls am 9.11.2020 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 3.3.2021 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 9.11.2020 resultieren, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
4. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.134,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 3.3.2021 zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen Klagabweisung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den Vortrag in den mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben zunächst durch Einholung eines Unfallgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. F, der für das Gericht beim Unfall entstandene Energie und Geschwindigkeit zu ermitteln hatte. Auf das Gutachten wird insoweit Bezug genommen.
Das Gericht hat sodann ein Gutachten bei dem medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. W, Facharzt für Orthopädie, eingeholt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
2 Aus den Gründen:
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
1. Schmerzensgeld:
Der dem Gericht seit vielen Jahren hilfreiche Sachverständige Dipl.-Ing. F, der über außerordentlich große forensische Erfahrungen verfügt, hat hier ein Gutachten erstattet, das zum Ergebnis kommt, dass bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von 42 km/h unfallbedingt eine Verzögerung von 7 × g eingetreten ist.
Damit liegen eine nicht unerhebliche Kollisionsgeschwindigkeit und Verzögerung vor.
Weiter war zu sehen, dass es sich nicht um einen "üblichen" Auffahrunfall gehandelt hat, sondern um eine Frontalkollision, die mit erheblich anderer, auch subjektiv-psychischer Auswirkung, sich ereignet hat. Es macht für das Gericht einen Unterschied, ob ein Fahrzeug von hinten am Ende einer Kolonne auffährt, oder ob ein anderes Fahrzeug frontal entgegenkommt und in das selbst gesteuerte Fahrzeug kracht.
Zu sehen waren für die Höhe des Schmerzensgeldes weiter die Verletzungen und ihre Folgen.
Hier hat sich das Gericht der Unterstützung des forensisch erfahrenen Prof. Dr. W bedient.
Dieser hat detailliert, nach...