StVG § 2 Abs. 8 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 3; FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8 § 46 Abs. 1, Abs. 3; FeV Anlage 4 Nr. 6.3; BayVwVfG Art. 31 Abs. 7
Leitsatz
1. Nach Nr. 6.3 der Anlage 4 zur FeV ist Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nur in leichten Fällen der Parkinsonschen Krankheit und bei erfolgreicher Therapie gegeben. Ausgeprägte motorische Störungen sind grds. ein konkreter Hinweis darauf, dass möglicherweise schon ein fortgeschrittenes Stadium der Krankheit erreicht sei. Dies rechtfertigt die unmittelbare Anordnung eines Gutachtens. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 ist grundsätzlich dauerhaft ausgeschlossen.
2. Wenn für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gutachtensbeibringungsanordnung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnung maßgeblich ist, bedeutet dies nach der Rechtsprechung des Senats zwar nicht, dass eine Beibringungsanordnung trotz Vorliegens neuer Erkenntnisse, die die ursprünglichen Zweifel an der Fahrgeeignetheit des Betroffenen entkräften, aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr ist, soweit die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers auch ohne die Vorlage des geforderten Gutachtens in sonstiger Weise vollständig und – auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar – eindeutig ausgeräumt werden, die Gutachtensbeibringungsanordnung aufzuheben, weil es dann einer medizinischen und/oder psychologischen Untersuchung und der Vorlage eines Fahreignungsgutachtens offensichtlich nicht mehr bedarf. Davon ist allerdings nur dann auszugehen“ wenn keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben und die ursprünglichen Bedenken eindeutig widerlegt sind. (Leitsätze der Schriftleitung)
BayVGH, Beschl. v. 9.2.2023 – 11 ZB 22.261
1 Sachverhalt
Die Kl. wendet sich gegen die Entziehung ihrer 1984 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
Mit Schreiben vom 25.3.2020 teilte die Polizei dem Landratsamt Ch. (Fahrerlaubnisbehörde) unter Bezugnahme auf einen konkreten Vorfall am 24.3.2020 mit, die Kl. sei an Parkinson erkrankt und leide – möglicherweise aufgrund der Medikamente – unter Schwächeanfällen, fahre aber noch Auto. Augenscheinlich könne sie nur noch schlecht gehen und auch das nur, wenn sie Tabletten genommen habe. Zudem höre sie Stimmen.
Daraufhin forderte das Landratsamt die Kl. mit Schreiben v. 8.4.2020 auf, bis zum 8.7.2020 ein ärztliches Gutachten eines Arztes einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Zu klären sei, ob die Kl. trotz einer Erkrankung an Parkinson, die die Fahreignung in Frage stelle, (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kfz der Gruppen 1 und 2 gerecht zu werden.
Am 20.4.2020 erteilte die Kl. ihr Einverständnis mit einer Begutachtung durch die TÜV … Service GmbH in D.
Am 1.7.2020 wurde dem Landratsamt bekannt, dass die Kl. am 30.6.2020 nach einem Verkehrsunfall und mit einer akuten Psychose notfallmäßig wegen Eigen- und Fremdgefahr ins Bezirksklinikum R. eingewiesen worden war. Eine ärztlich für geboten gehaltene stationäre Behandlung habe sie abgelehnt. Nach der polizeilichen Erstmeldung des Unfalls schilderte die Kl., sie habe bei der Fahrt mit dem Auto den Eindruck gehabt, als habe sie einen Stromschlag bekommen und könne das Auto explodieren. Sie sei dann in den Hof einer Zimmerei gefahren, aus dem Auto gestiegen, habe den Gang eingelegt und das Auto führerlos gegen einen dort abgestellten Container fahren lassen. Danach sei sie zu Fuß nach Hause gegangen, wo sie ein Bekannter in verwirrtem Zustand aufgefunden habe.
Nachdem auf die behördliche Anhörung keine Reaktion erfolgte, entzog das Landratsamt der Kl. mit Bescheid vom 17.7.2020 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und forderte sie auf, ihren Führerschein abzuliefern. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf mangelnde Eignung zu schließen.
Dagegen erhob die Kl. Anfechtungsklage, die das VG Regensburg mit Urt. v. 9.12.2021 – RO 8 K 20.1444 – abwies. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Bekl. entgegentritt, macht die Kl. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sowie einen Verfahrensmangel geltend.
2 Aus den Gründen:
Zitat
… II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 S. 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Kl., auf das sich die Prüfung des VGH beschränkt (§ 124a Abs. 5 S. 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 21.1.2022 – 22 ZB 21....