OWiG § 77 Abs. 2 Nr. 1; StPO § 262
Leitsatz
1. Hat das Bußgeldverfahren einen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften zum Gegenstand, kann im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt werden, wenn ein Termin für die Entscheidung über eine Rechtsfrage in einem anderen Verfahren (hier: Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht) nicht feststeht (Anschluss OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – IV-2 RBs 155/22).
2. Die fehlende Speicherung von Rohmessdaten begründet keinen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren und kein Beweisverbot.
3. Soll durch den Antrag auf Vernehmung des Beifahrers das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren erschüttert werden, wird die Beweiserhebung regelmäßig gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt werden können.
4. Etwas anderes gilt für nicht die Geschwindigkeitsmessung selbst betreffende entscheidungserhebliche Tatsachen (hier: Wahrnehmbarkeit der Beschilderung), die allein auf der Aussage des Messbeamten beruhen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.12.2022 – 2 Rb 35 Ss 587/22
1 Sachverhalt
Das AG verurteilte den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 74 km/h. Da es die Festsetzung des zur Ahndung eines solchen Verstoßes regelmäßig gebotenen Fahrverbots von drei Monaten aus in der Person des Betroffenen liegenden Gründen für unangemessen erachtete, setzte das Amtsgericht deshalb nur ein Fahrverbot von einem Monat fest, verdreifachte aber die Regelgeldbuße von 600 EUR (auf 1.800 EUR).
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Überschreitung des Bußgeldrahmens, das Übergehen eines Aussetzungsantrags und die Ablehnung eines auf die Vernehmung einer Entlastungszeugin gerichteten Beweisantrags beanstandet wird. Das OLG Karlsruhe hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG einschließlich der Feststellungen zum subjektiven Tatbestand aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde hat (vorläufigen) Erfolg.
1. Jedenfalls unbegründet ist allerdings die auf das Übergehen des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 2 BvR 1167/20 gestützte Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Dahingestellt bleiben kann deshalb, ob der Zulässigkeit der Rüge entgegensteht, dass in der Rechtsbeschwerdebegründung versäumt wird mitzuteilen, dass der bereits vorgerichtlich gestellte Antrag auch vor der Hauptverhandlung schon beschieden wurde.
Der Beanstandung liegt zugrunde, dass bei der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasergerät Riegl FG21-P über das Messergebnis hinaus keine sog. Rohmessdaten gespeichert werden. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde betreffend die Frage zum Gegenstand, ob und ggf. welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus einer fehlenden Speicherung von Messdaten bei Geschwindigkeitsmessungen im Bußgeldverfahren folgen.
Die der Sache nach unterbliebener Aussetzung des Verfahrens erweist sich als rechtsfehlerfrei, weshalb sich das formelle Übergehen des Antrags auch nicht als entscheidungserheblich darstellt.
In entsprechender Anwendung von §§ 262 StPO (der gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren Anwendung findet) kann zwar eine Aussetzung des Verfahrens erfolgen, wenn in einem anderen anhängigen Verfahren die abschließende Klärung einer für die Entscheidung des Falls bedeutsamen Rechtsfrage zu erwarten ist, eine Pflicht dazu besteht jedoch nicht. Auch wenn die Entscheidung darüber im Ermessen des Gerichts steht, ergibt sich auch nicht daraus, dass das Amtsgericht dieses Ermessen nicht in nachprüfbarer Weise ausgeübt hat, kein durchgreifender Rechtsfehler, weil eine Aussetzung des Verfahrens schon im Hinblick darauf nicht sachgerecht war, weil nicht abzusehen war (und ist), wann das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung treffen wird, und deshalb wegen der kurzen Verjährungsfrist bei einer Aussetzung naheliegend der Eintritt der Verfolgungsverjährung drohte (zum Ganzen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – 2 RBs 155/22).
2. Soweit aus der fehlenden Speicherung von Rohmessdaten ein Beweisverwertungsverbot abgeleitet und deshalb der Sache nach ein Verstoß gegen §§ 46 Abs. 1 OWiG, 261 StPO geltend gemacht wird, weil die Verurteilung auf das so gewonnene Messergebnis gestützt wurde, hält der Senat in Übereinstimmung mit nahezu der gesamten obergerichtlichen Rechtsprechung (u.a. OLG Schleswig SchlHA 2020, 42; OLG Bremen NStZ 2021, 114; OLG Düsseldorf DAR 2020, 209; NStZ 2021, 112; OLG Dresden NJW 2021, 176; OLG Zweibrücken ZfS 2022, 110; BayObLG DAR 2020, 145) an seiner schon mehrfach geäußerten (ZfS 2021, 472; Beschl. v. 6.11.2019 – 2 Rb 35 Ss 808/19) Rech...