Die Entscheidung des BGH gefasst sich mit einer Problematik bei der Anrechnung der Geschäftsgebühr – hier waren es 22 Geschäftsgebühren – auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits. Sie bedarf in einigen Punkten einer kritischen Anmerkung.
Die Anrechnungsvoraussetzungen
Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 VV RVG entsteht, wird diese Gebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG zur Hälfte, bei Wertgebühren höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Ob hier eine Anrechnung der 22 Geschäftsgebühren auf die im Rechtstreit angefallen Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV RVG vorzunehmen war, hing entscheidend davon ab, ob die außergerichtliche Tätigkeit der Rechtsanwälte denselben Gegenstand betroffen hat wie die nachfolgende gerichtliche Tätigkeit.
Derselbe Gegenstand
Im Ausgangspunkt geht der BGH zunächst davon aus, dass der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Sinn der Anrechnungsbestimmung durch das Recht oder das Rechtsverhältnis bestimmt wird, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht. Dabei hat der BGH auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise abgestellt.
Gegenstand der gerichtlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte waren hier die 22 Geschäftsgebühren nach Nr. 2300 VV RVG jeweils nebst Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV RVG. Demgegenüber waren Gegenstand der außergerichtlichen Vertretung der Mandantin Sachschadensersatzansprüche aus 22 Verkehrsunfällen sowie die zur Durchsetzung dieser Ansprüche jeweils angefallenen 1,3 Geschäftsgebühren nebst Postentgeltpauschalen, die dann später vor dem LG Coburg eingeklagt wurden. Dies ergibt sich aus den vom BGH im Sachverhalt seiner Entscheidung erwähnten außergerichtlichen Aufforderungsschreiben der Rechtsanwälte. Da Gegenteiliges nicht bekannt ist, ist davon auszugehen, dass sämtliche Anwaltstätigkeiten auch Inhalt der von der Mandantin erteilten Aufträge waren, also auch die außergerichtliche Aufforderung zur Zahlung der Geschäftsgebühren.
Nachdem die beklagte Haftpflichtversicherung die Sachschadensersatzansprüche der Mandantin vorgerichtlich gezahlt hatte, war der Gegenstand der vorgerichtlichen Tätigkeit der Anwälte und der Gegenstand der nachfolgenden gerichtlichen Tätigkeit teilweise derselbe, nämlich hinsichtlich der 22 Geschäftsgebühren nebst Postentgeltpauschalen. Zutreffend hat der BGH darauf verwiesen, dass für die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG eine teilweise Gegenstandsgleichheit ausreicht.
Sachlicher Zusammenhang
Es liegt hier auch der für Anrechnung erforderliche sachliche Zusammenhang zwischen der vorprozessualen und der gerichtlichen Anwaltstätigkeit vor, was das LG Saarbrücken AGS 2007, 291, dem folgend AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, Vorbem. 3 VV RVG Rn 232 für eine vergleichbare Fallgestaltung verneint hat.
Der BGH hat zutreffend darauf verwiesen, dass der dem Geschädigten wegen Beschädigung einer Sache nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Schadensersatz grundsätzlich auch den Ersatz der zur Durchsetzung dieses Anspruchs erforderlichen Rechtsverfolgungskosten, hier also die Geschäftsgebühren, umfasst.
Etwas anderes dürfte dann gelten, wenn Gegenstand der außergerichtlichen Vertretung nicht auch der Anspruch auf Zahlung der durch diese Vertretung entstandenen Anwaltskosten ist. Dies kann etwa der Fall sein, wenn zwar ein solcher Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten bestanden hat, der Mandant dem Anwalt jedoch ausdrücklich keinen Auftrag zu deren Geltendmachung erteilt hat. Oder zum Zeitpunkt der außergerichtlichen Aufforderung zur Zahlung des Sachschadens hatte der Mandant noch keinen materiell-rechtlichen Anspruch auf Ersatz der Rechtsverfolgungskosten, etwa weil der Gegner noch nicht in Verzug war, so dass diese Kosten nicht Gegenstand des Auftrags waren. Auch der Rechtsanwalt, der von seinem Mandanten mit der außergerichtlichen Abwehr der gegnerischen Forderung beauftragt worden ist, wird im Regelfall keinen Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung der Rechtsverteidigungskosten haben. Klagt er dann nach erfolgreicher Abwehr der Forderung die Rechtsverteidigungskosten ein, dürfte eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht in Betracht kommen, weil außergerichtliche Vertretung und gerichtliche Tätigkeit nicht denselben Gegenstand betroffen haben.
N. Schneider führt in seiner Anm. zu der Entscheidung des BGH in AGS 2024, 22, 25 ferner noch den Fall an, in dem ein selbstständiges Beweisverfahren wegen Mängeln an der Mietsache betrieben wird, der Antragsgegner nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens diese Mängel beseitigt und im anschließenden Rechtsstreit die im selbstständigen Beweisverfahren angefallenen Kosten einklagt. In diesen Fall kommt eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV RVG deshalb nicht in Betracht, we...