AVB Kreditkartengruppenversicherung Reiserücktritt Ziff. II B) 2
Leitsatz
Der Risikoausschluss für Kosten, die infolge von Vorerkrankungen – einem vor Buchung der Reise bekannten "medizinischem Zustand", weswegen die Prognose "unheilbar" oder "chronisch" erstellt wurde – erfasst unerwartete Verschlechterungen einer Dauererkrankung nicht, sondern nur Akutzustände. (Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Hamm, Beschl. v. 14.8.2023 – 20 U 11/23
1 Sachverhalt
Der Kl. ist über einen Kreditkartenvertrag für die durch einen Reiserücktritt oder einen Reiseabbruch entstehenden Kosten versichert.
Die AVB enthalten folgende Ausschlüsse:
2.1 Stornierungskosten, die direkt oder indirekt aus Umständen entstehen, die Ihnen vor der Buchung Ihrer Reise oder als Sie Ihre A. Card und sonstige Karten auf Ihr Kartenkonto beantragten, bekannt waren.
2.2 Kosten infolge von Vorerkrankungen.
Der Begriff "Vorerkrankungen" ist unter dem Punkt "Allgemeine Definitionen für die Versicherungsleistungen Unterwegs" wie folgt definiert (im Folgenden auch: Vorerkrankungsklausel):
Vorerkrankung bedeutet:
ein bereits vorher bekannter medizinischer Zustand, der Ihnen bekannt war, als Sie Ihre A. Card und andere Karten auf Ihr Kartenkonto beantragten bzw. vor Buchung Ihrer Reise, je nachdem was am kürzesten zurückliegt, und weswegen Sie:
Während der letzten 12 Monate einen Krankenhausaufenthalt hatten,
Testergebnisse erwarten oder auf der Warteliste für eine Operation, Konsultation oder Untersuchung stehen,
Innerhalb der letzten 3 Monate begonnen haben, Medikamente einzunehmen, oder die Einnahme geändert oder sich in Behandlung begeben haben,
alle 12 Monate oder häufiger eine medizinische, chirurgische oder psychiatrische Untersuchung benötigen,
die Prognose "unheilbar" und/oder "chronisch" erhalten haben.
Unter dem 00.5.2021 buchte der Kl. für sich und seine Ehefrau für den Zeitraum vom 20.7.2021 bis 27.7.2021 eine Yacht-Charterreise zum Preis von 54.720,00 EUR.
Der Kl. war im August 2019 wegen eines akuten Harnverhalts erstmals in ambulanter urologischer Behandlung in der Notaufnahme. Der Kl. erhielt dabei die Diagnose, er leide unter einer chronischen Prostatavergrößerung. Am 1.7.2021 begab sich der Kl. wegen Beschwerden in Gestalt eines akuten Harnverhalts in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Am 2.7.2021 stornierte der Kl. deshalb die gebuchte Yacht-Charterreise. Mit E-Mail vom 2.7.2021 übersandte das Reisebüro ihm den "Cancellation Letter" zum Chartervertrag und erklärte: "Wir werden alles versuchen, dass die Yacht erneut zu diesen Daten verchartert werden kann damit Hr. N. möglichst geringe Stornokosten hat."
In der Folge wurde der Kl. operiert.
2 Aus den Gründen:
1. Der Senat weist die Berufung der Bekl. gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurück …
a) Mit seinem Hinweisbeschluss vom 5.7.2023 hat der Senat ausgeführt:
“Die Berufung ist unbegründet. Das LG hat der Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend stattgegeben. Der Kl. hat gegen die Bekl. einen Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistung in Höhe von insgesamt 30.000,00 EUR gemäß Ziff. II. B) 1.1, 1.2 und 1.2.1 AVB i.V.m. dem zwischen der Bekl. … mit der H.M. Ltd. … geschlossenen Gruppenversicherungsvertrages mit eingeschlossener Reiserücktrittsversicherung …
Gegen die Wirksamkeit der Vorerkrankungsklausel bestehen Bedenken (1.). Die Frage bedarf aber letztlich keiner Entscheidung, weil die Klausel – deren Wirksamkeit unterstellt – dahin auszulegen ist, dass der Ausschluss im Streitfall nicht eingreift (2.). Der Kl. hat auch die Klageforderung erreichende oder diese übersteigende Stornierungskosten getragen (3.) und seine Schadensminderungsobliegenheit nicht verletzt (4.).
Da die Bekl. das Vorliegen eines versicherten Ereignisses sowie das Nichteingreifen der Subsidiaritätsklausel mit der Berufung – zu Recht – nicht angegriffen hat, kommt es in der Berufungsinstanz nur noch auf diese Fragen an.
1. Es bestehen Bedenken, ob die Vorerkrankungsklausel wirksam ist.
a) Die AVB des Gruppenversicherungsvertrags, in den der Kl. einbezogen worden ist, sind AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB, denn sie sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und enthalten Vertragsbedingungen, die die Bekl. einseitig gestellt hat. (wird ausgeführt)
b) Es bestehen Bedenken, ob die Vorerkrankungsklausel das Transparenzverbot des § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2 BGB wahrt, was – wäre dies nicht der Fall – zur Unwirksamkeit der Klausel führte (so im Ergebnis Prölss/Martin/Dörner, VVG, 31. Aufl. 2021, VBRR 2008/2018 Abs. 3 Ziff. 3 Rn 3; anders – wirksam – für eine ganz ähnliche Klausellage OLG Stuttgart, Urt. v. 20.10.2022 – 7 U 69/21 …).
aa) Nach dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. (wird ausgeführt)
bb) Hieran gemessen bestehen Bedenken, ob der durchschnittliche Versicherte dem Ausschluss wegen Vorerkrankungen nach Ziff. II. B) 2 2. AVB hinreichend klar entnehmen kann, wann der Ausschluss greift. Zwar hält der Senat – anders als da...