Lange wurde auf nationaler und europäischer Ebene darüber diskutiert, ob verpflichtende Gesundheitstests für Führerscheinbesitzer eingeführt werden sollen. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission, der im März des vergangenen Jahres vorgestellt wurde, sollten Autofahrerinnen und -fahrer ihre Fahrerlaubnis alle 15 Jahren neu beantragen und dafür medizinische Tests oder eine Selbstauskunft über ihre Gesundheit vorliegen müssen. Diesem Vorschlag ist das EU-Parlament aber nicht gefolgt. Man will es den Mitgliedstaaten überlassen, ob verpflichtende regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen eingeführt werden oder nicht.
Nicht nur eine Vielzahl der Autofahrerinnen und -fahrer wird aufgeatmet haben, sondern auch unser Bundesverkehrsminister Volker Wissing. So hatte sich dieser noch im November 2023 wie folgt äußert: "Ich wehre mich dagegen, dass der Einzelne immer mehr zum Objekt gemacht wird, sich Zwangsuntersuchungen unterziehen und nach Vorschriftskatalog seinen Alltag gestalten muss. Ich traue den Senioren schon zu, dass sie sich ohne staatliche Vorgaben und bürokratische Kontrolle mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen." Zudem sei es "eine Verantwortung des Umfelds, von Kindern, Verwandten und Nachbarn, mit alten Menschen über das Autofahren zu sprechen".
Auf dem ersten Blick sicher zutreffend: Es muss nicht immer mehr staatliche Vorgaben und bürokratische Kontrollen gegeben. Es gibt immer noch so etwas wie Eigenverantwortung und auch eine familiäre Verantwortung untereinander.
Hinzu kommt: Laut den Zahlen des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2021 66.812 Menschen ab 65 Jahren an Unfällen mit Personenschäden beteiligt. Das waren 14,5 % aller Unfallbeteiligten. Der Anteil der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und mehr lag dagegen bei 22,1 %.
Allerdings: Die geringere Unfallbeteiligung dürfte unter anderem daran liegen, dass ältere Menschen nicht mehr regelmäßig zur Arbeit fahren und so seltener als jüngere am Straßenverkehr teilnehmen. Auch gibt es in der Altersgruppe weniger Führerscheinbesitzer und -innen, die häufig nicht so viel oder so weite Strecke fahren.
Man könnte nun eine beliebige Anzahl von weiteren Pro- und Contra-Sachargumenten aufführen und am Ende des Tages muss es nun einmal eine Entscheidung geben. Dass Volker Wissing "Zwangsuntersuchungen" einführen wird, dürfte auch wohl bei seiner klaren Position nicht zu erwarten sein. Aber schauen wir doch einmal auf die Lebenswirklichkeit: Wer kennt Seniorinnen oder Senioren, die selbst erkennen, dass eine sichere Teilnahme am Straßenverkehr nicht mehr möglich ist? Wer kennt nicht aus der Beratung verzweifelte Angehörige, die verhindern wollen, dass kraftfahruntaugliche Seniorinnen oder Senioren weiter am Straßenverkehr teilnehmen, ihnen aber nur das Anschwärzen bei der Fahrerlaubnisbehörde mit den damit verbundenen familiären Konflikten bleibt? In welchem Konflikt befindet sich ein Arzt, der eine Kraftfahruntauglichkeit feststellt, dies aber nicht offenbaren darf? Wollen wir wirklich Angehörige haben, die – nur weil eine Seniorin oder ein Senior Gas und Bremse verwechselt –, schwer verletzt werden oder gar zu Tode kommen (oder selbst betroffen sein)?
Zugegebenermaßen ist die letzte Frage provokant und auch ich würde sagen, dass ich selbst einschätzen kann, ob ich kraftfahrtauglich bin oder nicht (auch im Alter). Wir sollten doch aber alle ehrlich mit uns sein. Bleibt man bei der Eigenverantwortlichkeit, werden sich mindestens 90 % als kraftfahrtauglich einschätzen, auch häufig noch nach einem Verkehrsunfall ("wäre schließlich jedem passiert"). Freiwillig wird sich kaum eine Seniorin oder ein Senior einer Gesundheitsprüfung unterziehen (auch ihr würde dies nicht wollen). Dem Staat würde es daher im Hinblick auf die Verkehrssicherheit gut zu Gesicht stehen, doch noch einmal in sich zu gehen. An der ein oder anderen Stelle ist manchmal ein wenig mehr Bürokratie besser.
Autor: Stefan Herbers
RA Stefan Herbers, FA für Verkehrsrecht und für Arbeitsrecht, Oldenburg
zfs 4/2024, S. 181