RVGVV Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300; ZPO §§ 103 ff.
Leitsatz
1. Es wird daran festgehalten, dass sich durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG (Nr. 2400 VV RVG a.F.) auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens gem. Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren nach Nr. 3100 VV RVG anfallende Verfahrensgebühr vermindert.
2. Für die Anrechnung ist es ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist.
3. Eine vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallene Geschäftsgebühr kann nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO sein.
BGH, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07
Sachverhalt
Im Rahmen eines Streits über die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Pkw hatte die Beklagte durch ihren späteren Prozessbevollmächtigten die von dem Kläger erhobenen Ansprüche zurückweisen lassen. Die von dem Kläger dann vor dem AG Quedlinburg erhobene Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung von Versicherungsaufwendungen hat das Gericht auf Kosten des Klägers abgewiesen. Auf Antrag der Beklagten hat der Rechtspfleger des AG neben einer 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG und einer 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG antragsgemäß noch eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG a.F. nach einem vorprozessual noch über der Klageforderung liegenden Gegenstandswert festgesetzt und hierauf eine 0,65 Verfahrensgebühr nach dem Streitwert des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hatte nur teilweise Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebte der Kläger die vollständige Absetzung der Geschäftsgebühr sowie die Berücksichtigung der Anrechnung einer 0,65 Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr.
Die Rechtsbeschwerde des Klägers hatte Erfolg.
Aus den Gründen
“ … [5] a) Die Rechtsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass das Beschwerdegericht die durch den vorprozessualen Versuch einer Anspruchsabwehr entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG als festsetzungsfähig angesehen hat. Denn ebenso wie die Aufwendungen für ein anwaltliches Mahnschreiben nicht zu den Prozesskosten gehören, können die vorprozessual zur Anspruchsabwehr angefallenen Gebühren nicht im Rahmen einer Kostenerstattung nach § 91 ZPO angesetzt werden und somit nicht Gegenstand einer Kostenfestsetzung nach §§ 103 ff. ZPO sein (vgl. BGH, Beschl. v. 27.4.2006, NJW 2006, 2560 f.).
[6] b) Die Rüge der Rechtsbeschwerde greift weiter durch, soweit das Beschwerdegericht die angemeldete Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ohne Anwendung der Anrechnungsvorschrift gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ungekürzt in Ansatz gebracht hat. Diese Vorschrift ist nach der Rspr. des Senats (Urt. v. 7.3.2007, NJW 2007, 2049, unter II 2a; Urt. v. 14.3.2007, NJW 2007, 2050, unter II 2d; Versäumnisurteil vom 11.7.2007, NJW 2007, 3500, unter II 2) so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Durch diese Anrechnung verringert sich die erst später nach Nr. 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibt. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Anrechnungsvorschrift erfolgt die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens und nicht umgekehrt, sodass sich nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr, sondern die im gerichtlichen Verfahren angefallene Verfahrensgebühr im Umfang der Anrechnung reduziert.
[7] Der Senat hält an dieser Sichtweise, die in erster Linie auf den klaren Wortlaut der Anrechnungsbestimmung gestützt ist, trotz der namentlich in der Instanzrechtsprechung (z.B. KG AGS 2007, 439; OLG München Rpfleger 2007, 686; OLG Karlsruhe AGS 2007, 494; OLG Koblenz AnwBl 2007, 873; OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.10.2007 – 8 W 442/07; wie der Senat etwa VGH München NJW 2006, 1990; OLG Hamburg MDR 2007, 1224) geäußerten Kritik, fest.
[8] aa) Die teilweise vertretene Auffassung, der Gesetzgeber habe bei der Anrechnungsbestimmung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG an der unter der Geltung des § 118 Abs. 2 S. 1 BRAGO entwickelten Praxis nichts ändern wollen, wonach die schon dort vorgeschriebene Anrechnung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr auf die im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren angefallene Prozess- oder Verkehrsgebühr bei der späteren Kostenfestsetzung nicht zu berücksichtigen sei (vgl. OLG München, a.a.O.), wird durch die Gesetzesbegründung zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drucks 15/1971, 209) nicht gestützt. Aus den dort wiedergegebenen Erwägungen geht nicht hervor, dass der Gesetzgeber sich überhaupt mit diesen im rechnerischen Ergebnis...