I. Einleitung
Inwieweit Grundrechte die Rechtsbeziehungen Privater beeinflussen, ist ein sensibles Thema. Anders als im Verhältnis zwischen Bürger und Staat widerstreiten in dieser Situation fast ausnahmslos gleichrangige subjektive Rechte miteinander, so dass die Schlichtung von Konflikten zwangsläufig auf Grundlage einer Abwägung erfolgt. Solche Entscheidungen eröffnen dem Urteilenden einen erheblichen Spielraum und sind in gewissem Maße Spiegel persönlicher Wertentscheidungen. Dem zu begegnen erfordert neben einer genauen Untersuchung der Frage, ob gerichtliche Kontrolle überhaupt zulässig ist, die sorgfältige Feststellung der Belange.
Zu einer für die Versicherungswirtschaft wichtigen Entscheidung des BVerfG vom 23.10.2006 führte ein Konflikt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG. In der Literatur wurde der Beschluss im Ergebnis bislang – überraschenderweise – durchgehend positiv aufgenommen, die Materialien zum VVG 2008 nehmen sogar ausdrücklich auf sie Bezug.
Der vorliegende Beitrag setzt sich mit den argumentativen Schwächen der Entscheidung auseinander, beleuchtet bislang im Dunkeln gebliebene Aspekte und stellt die Konsequenzen für die Praxis dar.
II. Sachverhalt
Die 1. Kammer des 1. Senats befasste sich mit der Zulässigkeit einer schon seit 1989 üblichen Schweigepflichtentbindungsklausel, und zwar im Zusammenhang mit der ergänzend zur Lebensversicherung abgeschlossenen Berufunfähigkeitszusatzversicherung.
Die Beschwerdeführerin war wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden. Sie hatte Leistungen aus einer zuvor abgeschlossenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragt, die der Versicherer verweigert hatte. Die Beschwerdeführerin hatte abgelehnt, eine Schweigepflichtentbindungserklärung nach § 4 Nr. 2 BB-BUZ folgenden Wortlauts abzugeben:
"Ich ermächtige die [A-Versicherung], von allen Ärzten, Krankenhäusern und Krankenanstalten bei denen ich in Behandlung war oder sein werde sowie von meiner Krankenkasse … und von den Versicherungsgesellschaften, Sozialversicherungsträgern, Behörden, derzeitigen und früheren Arbeitgebern sachdienliche Auskünfte einzuholen. Die befragten Personen und Stellen entbinde ich hiermit ausdrücklich von ihrer Schweigepflicht."
Sie hatte dabei auf Gründe des Datenschutzes verwiesen. Zugleich hatte sie angeboten, anstatt der vertraglich vereinbarten umfassenden Ermächtigung die Erteilung von Auskunftserlaubnissen für jeden Einzelfall zu erteilen. Dieses Angebot hatte der Versicherer abgelehnt und erklärt, dass der Versicherungsfall nicht festgestellt werden könne.
Die Beschwerdeführerin klagte ohne Erfolg vor dem LG Hannover u.a. auf Feststellung der Leistungspflicht. Ebenfalls ohne Erfolg blieb ihre Berufung zum OLG Celle, ihre Nichtzulassungsbeschwerde verwarf der BGH. Sämtliche Zivilgerichte verwiesen auf die – ganz offensichtlich – vollends zutreffenden Ausführungen des Versicherers zur Begründung ihrer Entscheidungen. Die Verfassungsbeschwerde indes hatte weitestgehend Erfolg und führte zur Zurückverweisung der Sache an das LG Hannover.
III. Die Beurteilung durch das BVerfG
1. Eingriff
Die Entbindung von Schweigepflichten berühre den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung. Die Selbstentfaltung des Einzelnen soll dadurch gewährleistet werden, dass er selbst über Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten bestimmte. Die Ungewissheit über die Verwendung und den Verbleib von Informationen könne zu Selbstbeschränkungen bis zum Verzicht von Grundrechtsausübung führen. Die Frage nach einer unangemessenen Benachteiligung bei der Kontrolle von AVB gem. § 9 AGBG/§ 307 BGB könne deshalb nur unter Erwägung dieses Rechts beantwortet werden.
In Anbetracht der Disponibilität dieses Grundrechts sei staatlicherseits Zurückhaltung bei der Durchsetzung angezeigt. Insoweit sei grundsätzlich jede privatautonome Entscheidung als Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG zu respektieren. Eine solchermaßen getroffene Entscheidung schließe als Grundrechtsverzicht bereits den Grundrechtseingriff aus. Aus der Parteienentscheidung sei in der Regel auf einen sachgerechten Interessenausgleich zu schließen bei dem beiderseits die Grundrechte in einem angemessenen Verhältnis zueinander zur Entfaltung gekommen seien. Insoweit sei eine gerichtliche Korrektur, die notwendig die allgemeine Handlungsfreihe...