VVG §§ 16 ff. (a.F.)
Leitsatz
1. Der Befund eines genetischen Defekts unterliegt nach der "Freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung des GDV" nur dann einem Verwertungsverbot, wenn der Befund durch einen prädiktiven Test (Gen- oder Bluttest) erhoben worden ist. Sinn und Zweck der "Freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung des GDV" ist es nicht, seitens der Versicherer auf die Offenlegung bereits bestehender Erkrankungen (mögen sie auch genetisch bedingt sein) zu verzichten.
Von einem prädiktiven Test (Gen- oder Bluttest) ist nur dann auszugehen, wenn dieser der Feststellung erblicher Veranlagungen für noch nicht klinisch manifestierte Erkrankungen dient. Demgegenüber liegt ein diagnostischer Test (Gen- oder Bluttest) dann vor, wenn mit diesem nach einer genetischen Ursache für eine bereits bestehende, klinisch manifestierte Krankheit gesucht wird.
2. Die – trotz entsprechender Frage des Versicherers im Antragsformular – Nichtangabe von vier ärztlichen Behandlungen wegen Eisenmangel innerhalb 2 Jahren berechtigt den Versicherer – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – zum Rücktritt vom Vertrag nach §§ 16 Abs. 2, 20 VVG. Die Gefahrerheblichkeit des Eisenmangels liegt in einem solchen Fall auf der Hand.
OLG Hamm, Urt. v. 21.11.2007 – 20 U 64/07
Aus den Gründen
“2.) Der von der Beklagten erklärte Rücktritt ist wirksam, die Beklagte war zum Rücktritt berechtigt, § 16 Abs. 2 VVG.
a) Unstreitig hat der Kläger (oder was dem gleichsteht die Ehefrau, § 178a Abs. 3 VVG) die Fragen nach Erkrankungen und /oder ärztliche Behandlungen in den letzten 5 Jahren falsch beantwortet. Denn die – wiederholten – Behandlungen wegen Eisenmangel sowie die Thalassämia minor sind nicht im Antragsformular angegeben worden.
Der Kläger stellt auch nicht ernsthaft in Abrede, objektiv die Anzeigepflicht verletzt zu haben.
b) Dieser verschwiegene Umstand war auch gefahrerheblich.
aa) Nach der Legaldefinition des § 16 Abs. 1 S. 2 VVG ist ein Umstand gefahrerheblich, wenn er geeignet ist, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben. Dabei gilt ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt (wie hier: Behandlungen in den letzten fünf Jahren und Krankheiten), im Zweifel als gefahrerheblich. Die erfragen Umstände haben die Vermutung der Gefahrerheblichkeit. In diesen Fällen ist es Sache des Versicherungsnehmers, die Unerheblichkeit der nicht angezeigten Umstände darzulegen und zu beweisen. Allerdings gelten Erleichterungen der Darlegungslast zu Gunsten des Versicherungsnehmers. Es reicht aus, wenn er pauschal behauptet, der betreffende Umstand sei nicht gefahrerheblich. Es ist dann grds. Sache des Versicherers darzulegen, von welchen Risikoprüfungsgrundsätzen er sich leiten lässt. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Gefahrerheblichkeit bereits auf der Hand liegt. Der Versicherer ist danach nur dann gehalten, seine Risikoprüfungsgrundsätze offen zu legen, wenn es sich um eine Gesundheitsstörung handelt, die offenkundig als leicht einzuordnen, nicht wiederholt aufgetreten ist und deshalb von vornherein keinen Anhalt dafür bietet, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer angelegten Versicherungsvertrages von Bedeutung sein könnte. Bei der Frage, ob die Gefahrerheblichkeit auf der Hand liegt, sind die anzugebenden Umstände so zu Grunde zu legen, wie sie dem Versicherer anzuzeigen waren, ohne dass es insoweit auf eine nachträgliche ärztliche Bewertung dieser Umstände ankommt. Liegt die Gefahrerheblichkeit also nicht auf der Hand, sind somit die Grundsätze entscheidend, von denen sich der Versicherer bei der Risikoprüfung leiten lässt. Daraus folgt, dass die Gefahrerheblichkeit – liegt diese nicht auf der Hand – nicht ohne Kenntnis der – von dem Versicherer darzulegenden – tatsächlichen Geschäftsgrundsätze des Versicherers beurteilt werden kann (BGH VersR 2000, 1486).
bb) Die Gefahrerheblichkeit des Eisenmangels – bei dem es sich ohne Zweifel um eine Erkrankung handelt, wegen derer die Versicherte auch ärztlich behandelt worden ist – liegt … auf der Hand, sodass es auf die Risikoprüfungsgrundsätze der Beklagten nicht ankommt. Selbst wenn man die Behandlung während bzw. aus Anlass der Schwangerschaft außer Betracht lassen würde, ist zu berücksichtigen, dass die Versicherte bei Dr. F innerhalb eines Zeitraumes von knapp 2 Jahren (Oktober 1999 – Juni 2001) vier Mal wegen Eisenmangel und der damit verbundenen Beschwerden behandelt worden und auch die Überweisung zu einem Spezialisten erfolgte.
Mithin ist die Erkrankung somit wiederholt und auch häufig aufgetreten (zur Häufigkeit vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., zu § 16, Rn 8) und kann – entgegen der Auffassung des Klägers – weder als belanglos noch als “Bagatelle’ betrachtet werden. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, diese Gesundheitsstörung habe von vornherein keinen Anhalt dafür geboten, dass sie für die Risikoeinschätzung des Versicherers hinsichtlich des auf Dauer ang...