StVO §§ 8 Abs. 1 S. 1, 10, 42 Abs. 4a (Zeichen 325/326)
Leitsatz
Die besonderen Pflichten des § 10 Abs. 1 S. 1 StVO gelten für den Fahrer, der einen verkehrsberuhigten Bereich verlässt, auch dann, wenn das Zeichen 326 (Ende) nicht unmittelbar im Bereich der Einmündung oder Kreuzung, sondern einige Meter davor aufgestellt ist. Entscheidend ist, ob das Einfahren in eine andere Straße bei objektiver Betrachtung noch als Verlassen des verkehrsberuhigten Bereichs i.S.d. § 10 StVO erscheint. Dies ist in der Regel zu bejahen, wenn das Zeichen 326 nicht mehr als 30 Meter vor der Einmündung oder Kreuzung aufgestellt ist und keine konkreten Anhaltspunkte eine abweichende Beurteilung rechtfertigen.
BGH, Urt. v. 20.11.2007 – VI ZR 8/07
Sachverhalt
Im Januar 2006 befuhr der Kläger mit seinem Pkw eine durch Verkehrszeichen 325/326 geregelte verkehrsberuhigte Zone, wobei in seiner Fahrtrichtung das Verkehrsschild 326 (Ende) in einer Entfernung von etwa 10 Metern vom Einmündungsbereich der Straße in eine Querstraße stand. Auf dieser näherte sich von links der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte Pkw der Beklagten zu 1. Im Einmündungsbereich kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, wobei der Pkw des Klägers beschädigt wurde. Der Kläger verlangt von den Beklagten vollen Ersatz seines Sachschadens.
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte zu 1) das Vorfahrtsrecht des von rechts kommenden Klägers verletzt hat, weil die verkehrsberuhigte Zone bereits 10 Meter vor der Einmündung endete, oder ob der Kläger unter Verletzung des Vorfahrtsrechts der Beklagten zu 1) aus der noch bis zum Einmündungsbereich fortbestehenden verkehrsberuhigten Zone ausgefahren ist.
Das AG ist der letztgenannten Ansicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverursachungsanteils des Klägers von 25 % teilweise stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.
Aus den Gründen
[4] “I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts verstieß die Beklagte zu 1) gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, da sie die Vorfahrt des Klägers nicht beachtete. Die in Rspr. und Literatur umstrittene Frage, wann der nach dem Ausfahren aus einer durch Verkehrszeichen 326 (verkehrsberuhigte Zone) geregelte Bereich ende, sei dahin zu beantworten, dass ab dem konkreten Standpunkt des Verkehrsschildes Zeichen 326 die allgemeinen Verkehrsregeln gälten.
[5] Bei der Abwägung seien demnach auf Seiten der Beklagten zu 1) der Verstoß gegen § 8 StVO sowie die Betriebsgefahr des Pkw zu berücksichtigen. Der Unfall sei indes für den Kläger nicht unabwendbar gewesen. Vielmehr habe sich dieser nicht hinreichend aufmerksam nach links orientiert und infolgedessen das von dort herannahende, gut sichtbare Fahrzeug der Beklagten zu 1) übersehen. Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger eine verkehrsberuhigte Zone verlassen habe und der Regelungsbereich des § 10 StVO für ihn unklar gewesen sei, hätte der Kläger sich seines Vorfahrtsrechts vergewissern müssen. Das Fehlverhalten der Beklagten zu 1) wiege jedoch unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge und unter Berücksichtigung der gleich hohen Betriebsgefahr der unfallbeteiligten Fahrzeuge schwerer, sodass ein Haftungsanteil in Höhe von 75 % zu Lasten der Beklagten und in Höhe von 25 % zu Lasten des Klägers angemessen sei.
[6] II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
[7] 1. § 42 Abs. 4a StVO normiert für verkehrsberuhigte Bereiche, die durch Zeichen 325 (Beginn) und 326 (Ende) gekennzeichnet werden, bestimmte Rechte und Pflichten der Fußgänger und der Kraftfahrer. Darüber hinaus hat nach § 10 S. 1 StVO derjenige, der aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325/326) auf die Straße einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Problematisch ist, dass für Kraftfahrer in Einmündungs- oder Kreuzungsbereichen je nach den Umständen nicht ausreichend klar erkennbar sein kann, ob die Verhaltensanforderung des § 10 S. 1 StVO gilt oder die des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, wonach an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt hat, wer von rechts kommt. Die Verwaltungsvorschrift zu § 42 Abs. 4a StVO bestimmt, das Zeichen 326 sei höchstens 30 m vor der nächsten Einmündung oder Kreuzung aufzustellen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein Kraftfahrer, der einen verkehrsberuhigten Bereich verlässt, dessen Verlassen im Einzelfall auf Grund der spezifischen Gestaltung des konkreten Straßenbereichs nicht mehr als Ausfahrt aus einem verkehrsberuhigten Bereich erkennt.
[8] 2. a) Deshalb könnte für die Ansicht des Berufungsgerichts, ab dem konkreten Standpunkt des Verkehrsschildes gälten die allgemeinen Verkehrsregeln, der Gesichtspunkt einer klaren Regelung sprechen. Unter diesem Aspekt wird die Auffassung des Berufungsgerichts auch von Teilen der Rspr. und Literatur vertreten (vgl. OLG Hamm StVE Nr. 22 zu § 10 StVO – Zeichen 326 ca. 30 m vor d...