BGB § 249 § 675
Leitsatz
Unterlässt es der Berufungsanwalt, auf ein die Rechtsauffassung seines Mandanten stützendes Urteil des Bundesgerichtshofs hinzuweisen, und verliert der Mandant deshalb den Prozess, wird der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Anwaltsfehler und dem dadurch entstandenen Schaden nicht deshalb unterbrochen, weil auch das Gericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs übersehen hat.
BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07
Sachverhalt
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung eines Anwaltsvertrages. Die Klägerin, Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses, nahm die Mieter einer ihrer Wohnungen auf Zahlung von Nebenkosten für die Jahre 1998 bis 2000 in Anspruch. Streitig war u.a., ob die Mieter zur anteiligen Zahlung von Versicherung und Grundsteuer verpflichtet waren. Vor dem AG vertrat die Klägerin sich selbst. Das AG gab ihrer Klage in den genannten Punkten mit der Begründung statt, die Mieter hätten durch jahrelanges widerspruchsloses Zahlen der Umlage einer entsprechenden Änderung des schriftlichen Vertrages zustimmt. Nachdem die Mieter Berufung eingelegt hatten, beauftragte die Klägerin die beklagte Anwaltssozietät mit ihrer Vertretung. Durch Urt. v. 11.2.2003 wies das Berufungsgericht die Klage in den fraglichen Punkten ab, weil vorbehaltslose Zahlungen von Mietern, die auch auf Rechtsirrtum beruhen könnten, nicht zu einer Vertragsänderung führten.
Die Beklagte nahm die Klägerin sodann auf Zahlung von Anwaltshonorar in Anspruch. Die Klage wurde in zwei Instanzen mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe die Klägerin unzureichend vertreten, insbesondere vor dem Berufungsgericht nicht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.5.2000 (NJW-RR 2000, 1463) über den stillschweigenden Abschluss einer Vereinbarung über zu tragende Nebenkosten durch jahrelange Übung hingewiesen.
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 3.647,53 EUR (1.969,56 EUR entgangene Nebenkosten sowie Gerichts- und Anwaltskosten). In den Vorinstanzen ist ihre Klage erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [4] „Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[5] I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der für die beklagte Sozietät handelnde Rechtsanwalt M. (fortan auch: die Beklagte) habe die ihm auf Grund des Anwaltsvertrages obliegenden Pflichten verletzt, indem er im Prozess der Klägerin gegen ihre Mieter weder in der schriftlichen Berufungserwiderung noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur stillschweigenden Vereinbarung über die Umlegbarkeit von Nebenkosten hingewiesen habe. Zu dem Hinweis sei er verpflichtet gewesen, um entweder das Gericht von der Richtigkeit der Rechtsauffassung der Klägerin zu überzeugen oder es dazu zu bringen, die Revision zuzulassen. Weil das Berufungsgericht die Entscheidung vom 29.5.2000 jedoch ebenfalls übersehen habe, bestehe kein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fehler und dem eingetretenen Schaden, der in der Aberkennung des Anspruchs auf Nebenkosten und der Verpflichtung zur Zahlung der anteiligen Gerichts- und Anwaltskosten bestehe.
[6] II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
[7] 1. Die Beklagte hat die ihr auf Grund des Anwaltsvertrages obliegenden Pflichten verletzt.
[8] a) Nach gefestigter Rspr. des Bundesgerichtshofs ist der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber verpflichtet, dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt werden (BGH, Urt. v. 24.3.1988, NJW 1988, 3013, 3016; v. 4.6.1996, NJW 1996, 2648, 2650; v. 24.5.2007, WM 2007, 1425, 1426 f. Rn 14; Beschl. v. 19.6.2008, ZMR 2008, 602; Zugehör, NJW 2003, 3225, 3226 unter 2a). Zwar weist die Zivilprozessordnung die Entscheidung und damit die rechtliche Beurteilung des Streitfalles dem Gericht zu; dieses trägt für sein Urteil die volle Verantwortung. Es widerspräche jedoch der rechtlichen und tatsächlichen Stellung der Prozessbevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen, würde man ihre Aufgabe allein in der Beibringung des Tatsachenmaterials sehen. Der Möglichkeit, auf die rechtliche Beurteilung des Gerichts Einfluss zu nehmen, entspricht im Verhältnis zum Mandanten die Pflicht, diese Möglichkeit zu nutzen (BGH, Urt. v. 4.6.1996, a.a.O.). Mit Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ist es Pflicht des Rechtsanwalts, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts entgegenzuwirken (BGHZ 174, 205, 210 Rn 15; BGH, Urt. v. 25.6.1974, NJW 1974, 1865, 1866). Dies entspricht auch dem Selbstverständnis der Anwalt...