VV RVG Nr. 2300, 1008; RVG § 14 Abs. 1
Leitsatz
Dem Geschädigten steht auch dann ein Anspruch auf Zahlung einer 1,5 Geschäftsgebühr zu, wenn die von seinem Rechtsanwalt bestimmte Gebühr die Toleranzgrenze von 20 % nicht überschreitet. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Anwaltstätigkeit umfangreich oder schwierig war.
(Leitsatz des Bearbeiters)
AG Berlin-Mitte, Urt. v. 19.9.2008 – 104 C 3097/08
Sachverhalt
Die Klägerin und ihr Ehemann hatten deren späteren Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Schadensregulierung auf Grund eines Verkehrsunfalls beauftragt. Der Rechtsanwalt wandte sich an die Haftpflichtversicherung des Gegners, die den Schaden weitgehend beglich. Den vollen Ersatz der Reparaturkosten lehnte die Haftpflichtversicherung ab, weil sie die Lohnkosten und Lackierkosten für überhöht hielt. Auch weitere geltend gemachte Schadenspositionen beglich die Haftpflichtversicherung nicht bzw. nicht in vollem Umfang. Für die außergerichtliche Schadensregulierung verlangte die Klägerin von der Haftpflichtversicherung den Ersatz ihrer Anwaltskosten, und zwar den Ersatz einer 1,5 + 0,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300, 1008 VV RVG. Hierauf zahlte die Versicherung vorprozessual lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr.
Mit ihrer Klage begehrte (nur) die Klägerin die Zahlung restlicher Schadenspositionen. Ferner verlangte sie die Freistellung von restlichen Gebührenansprüchen ihrer vorgerichtlich tätigen RA, die sie auch im Rechtsstreit vertragen. Die Klage hatte überwiegenden Erfolg.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: „… Die Klägerin hat dem Grunde nach auch einen Anspruch auf Freistellung vom vorprozessual entstanden Gebührenanspruch ihrer Prozessbevollmächtigten.
Dieser ist begründet, soweit eine 1,5fache Geschäftsgebühr zzgl. Postpauschale und Mehrwertsteuer geltend gemacht wird.
Dabei kann offen bleiben, ob im konkreten Fall nur eine 1,3fache oder auch eine 1,5fache Gebühr zugrunde gelegt werden kann.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren (wie der Geschäftsgebühr i.S.d. Nr. 2300) der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, wobei eine Abweichung von 20 % allerdings noch zu tolerieren ist (vgl. nur Gerold/Schmidt, 17. Aufl. § 14 RVG, Rdz. 12 m.w.N.). Selbst wenn also objektiv nur eine 1,3fache Gebühr "angemessen" wäre, befände sich die 1,5fache Gebühr noch innerhalb einer Toleranz von 20 % und ist deshalb nicht zu beanstanden.
Der Anspruch der Klägerin war allerdings um die 0,3-Erhöhungsgebühr (1008 VV) zu kürzen. Die Erhöhung kann im hiesigen Prozess nicht geltend gemacht werden, weil der lediglich vorprozessual aufgetretene zweite Auftraggeber nicht Partei des Rechtsstreits ist.“
3 Anmerkung
Das amtsgerichtliche Urteil, das rechtskräftig geworden ist, gibt Anlass zu verschiedenen weder vom Gericht noch von den Parteien des Rechtsstreits erörterten Problemen.
I. Freistellung oder Zahlung
Die Klägerin hatte von der beklagten Haftpflichtversicherung Freistellung von den Honoraransprüchen ihrer Prozessbevollmächtigten begehrt, weil sie deren Honorarforderung offensichtlich noch nicht beglichen hatte. An sich hätte die Klägerin gleich auf Zahlung klagen können, weil die Beklagte vorprozessual die Erfüllung der Resthonorarforderung endgültig verweigert hatte. In einem solchen Fall wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um (so allgemein BGH NJW 1993, 2232 = WM 1993, 1557; AG Aachen RVGreport 2005, 60 [Hansens] = JurBüro 2005, 192 mit Anm. Enders = AGS 2005, 107 mit Anm. N. Schneider = AnwBl. 2005, 223 mit Anm. Henke für die Verkehrsunfallschadenregulierung).
II. Geschäftsgebühr und Kappungsgrenze
Gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt Rahmengebühren wie die hier in Rede stehende Geschäftsgebühr unter Berücksichtigung der dort aufgeführten Umstände nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, so ist gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Nach der auch schon zu BRAGO-Zeiten vorherrschenden Auffassung ist die von dem RA getroffene Gebührenbestimmung nur dann unbillig, wenn sie die vom Gericht als billig angesehene Gebühr um mehr als 20 % übersteigt (sog. Toleranzgrenze).
Das AG ist hier – insoweit in Übereinstimmung mit der Beklagten – davon ausgegangen, dass es sich um eine durchschnittliche Schadensregulierung gehandelt hat, die grundsätzlich den Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr rechtfertigt (BGH zfs 2007, 102 mit Anm. Hansens = NJW-RR 2007, 420 = AGS 2007, 30 mit Anm. Schons = JurBüro 2007, 72 mit Anm. Enders). Nach Auffassung des AG lag die hier von dem Rechtsanwalt bestimmte 1,5 Geschäftsge...