Wie schon im EGBGB gibt es auch in der Rom II-Verordnung eine stufenweise Regelung des relevanten Deliktsrechts. Die Regelungen der Rom II-Verordnung in diesem Bereich sind den bisher in Deutschland geltenden Regelungen des EGBGB sehr ähnlich.
a) Freie Rechtswahl
Erster Anknüpfungspunkt ist die freie Rechtswahl, Art. 14 Rom II-VO, die in Straßenverkehrsunfällen in der Regel nach Eintritt des Schadenereignisses erfolgt.
Diese wird in der Praxis in Zukunft voraussichtlich bei gerichtlichen Auseinandersetzungen im Wohnsitzland des Geschädigten gegen einen ausländischen Versicherer einen größeren Stellenwert einnehmen. Steht etwa die Einholung kostspieliger Gutachten über ausländisches Recht im Raum, kann es im Einzelfall sinnvoll sein, dass sich die Beteiligten auf die Anwendung des deutschen Rechts einigen (der Versicherungsnehmer darf jedoch keine Rechtswahl zu Lasten Dritter – etwa seiner Versicherung – treffen, Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO).
b) Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthaltsort
Der nächste Anknüpfungspunkt ist wie im deutschen EGBGB gem. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsortes. Haben Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben anderen Staat, ist dieses Recht anwendbar (dabei kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit der Unfallbeteiligten oder auf die Zulassung der beteiligten Fahrzeuge an).
c) Grundregel: Tatortrecht
Liegt keiner dieser Anknüpfungspunkte vor, kommt die Grundregel zum Tragen: Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Schaden eintritt (d.h. das Recht des Erfolgsortes).
Dies ist bei grenzüberschreitenden Verkehrsunfällen das Recht des Staates, in dem der Unfall stattgefunden hat.
d) Offensichtlich engere Verbindung
Die beiden Grundanknüpfungen aus Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom II-VO werden durch Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO korrigiert, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates ergibt.
Für den Regelfall des grenzüberschreitenden Verkehrsunfalls hat dies also zur Folge, dass das Recht des Unfalllandes zur Anwendung kommt.
Im hiesigen Beispiel wäre das bei einer Geltendmachung in Deutschland französisches Recht. Dies gilt für das anwendbare Straßenverkehrsrecht, das Haftungsrecht und für die Art und Höhe des Schadenersatzes.
e) Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung
Nach Art. 24 Rom II-VO sind die Verweisungen auf das Recht eines bestimmten Staates Sachnormverweisungen, d.h. anders als im EGBGB gibt es keine Verweisung mehr auf das IPR eines anderen Staates (und damit auch keine Rück- und Weiterverweisung). Das Sachrecht eines anderen Staates ist unmittelbar anzuwenden.
f) Ordre Public Vorbehalt Art. 26 Rom II-VO
In Art. 26 Rom II-VO ist ein ordre public Vorbehalt statuiert, der besagt, dass in Ausnahmefällen von der Anwendung einer Sachnorm abgesehen werden kann, wenn das Ergebnis einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts begründet.
Man könnte geneigt sein, die Anwendung des Schadenersatzrechts eines anderen Staates vor den eigenen Gerichten, wie sie bei grenzüberschreitenden Schadenfällen üblich ist, hier und da als ordre public widrig qualifizieren zu wollen (besonders in Fällen die einem aus dem eigenen Schadenersatzrecht vom Grunde oder der Höhe her nicht geläufig sind).
Hier ist festzustellen, dass grundsätzlich die Gleichwertigkeit der Justiz und der Rechtssysteme gilt und die reine Anwendbarkeit fremden Schadenersatzrechtes keinen ordre public Verstoß begründet.
Ein Beispiel eines möglichen ordre public Verstoßes nennt die Kommission in ihren Erwägungsgründen, etwa wenn den Schädiger eine Ersatzpflicht trifft, die offensichtlich anderen Zwecken als der Entschädigung des Opfers dient, wie einen Strafschadenersatz (punitive damages, bekannt aus dem amerikanischen Recht).
In jedem Fall bleibt Art. 26 Rom II-VO ein reiner Notanker, der sehr selten auf übliche Fallgruppen des grenzüberschreitenden Verkehrsunfalls anwendbar sein dürfte.
g) Verhältnis zum Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anwendbare Recht
Gem. Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO berührt diese Verordnung nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten.
Im Bereich der Straßenverkehrsunfälle gehört dazu das Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971 (nachfolgend: Haager Übereinkommen).
Vertragsstaaten sind u.a. 13 EU-Mitgliedstaaten: Belgien, Frankreich, Österreich, Niederlande, Spanien, Portugal, Polen, Litauen, Lettland, Luxemburg, Slowakei, Slowenien und die tschechische Republik.
Die EU kann diese Mitgliedstaaten nicht zwingen, das Haager Übereinkommen zu kündigen. Solange der Mitgliedstaat das Haager Übereinkommen nicht kündigt...