Gem. Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO berührt diese Verordnung nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten.
Im Bereich der Straßenverkehrsunfälle gehört dazu das Haager Übereinkommen über das auf Verkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971 (nachfolgend: Haager Übereinkommen).
Vertragsstaaten sind u.a. 13 EU-Mitgliedstaaten: Belgien, Frankreich, Österreich, Niederlande, Spanien, Portugal, Polen, Litauen, Lettland, Luxemburg, Slowakei, Slowenien und die tschechische Republik.
Die EU kann diese Mitgliedstaaten nicht zwingen, das Haager Übereinkommen zu kündigen. Solange der Mitgliedstaat das Haager Übereinkommen nicht kündigt, gilt dort als IPR in grenzüberschreitenden Verkehrsunfällen das Haager Übereinkommen, nicht die Rom II-Verordnung.
Die Kollisionsnormen des Haager Übereinkommens unterscheiden sich z.T. erheblich von denen der Rom II-VO (berücksichtigt man auch noch Dänemark, das als EU-Mitgliedstaat sein rein nationales IPR anwendet, gibt es in Zukunft in der EU 3 verschiedene Möglichkeiten der Kollisionsnormen für Straßenverkehrsunfälle).
Im Ergebnis wird es daher auch in Zukunft in der EU im Bereich der Straßenverkehrsunfälle keine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts geben.
Im hiesigen Beispielsfall würde das deutsche angerufene Gericht als Kollisionsnorm die Rom II-VO zugrunde legen, ein französisches Gericht das Haager Übereinkommen. Beide kämen hier jedoch im Ergebnis zur Anwendung französischen Schadenersatzrechts.
Es sind natürlich auch Fälle denkbar, in denen das Ergebnis nicht gleich lautend ist.
Hier spielt die Möglichkeit, in verschiedenen Ländern zu klagen, eine große Rolle.
In diesen Fällen besteht der Anreiz für den Geschädigten je nach Wahl des angerufenen Gerichts das maßgebliche anwendbare Recht zu bestimmen, das sog. Forum shopping. Auf Grund divergierender Kollisionsnormen und damit einhergehend divergierender Schadenersatzrechte kann es hiermit zu stark unterschiedlichen Ergebnissen der Entschädigung kommen. Die stellt auch die Anwaltschaft in Ihrer Beratungspflicht vor besondere Herausforderungen.
Fraglich ist auch, ob ein eingeleitetes Verfahren eines Geschädigten in einem Land Einfluss auf ein späteres Verfahren eines anderen Unfallbeteiligten hat (so in Fällen, in denen jeder Beteiligte eine Teilschuld am Unfall hat). In diesem Fall bestünde die Gefahr eines "race to court", der möglichst schnellen Wahl eines Gerichtsstandes, der einen möglichst günstigen Ausgang des Verfahrens verspricht.
Für alle Beteiligten wäre Rechtssicherheit wünschenswert, die momentan so nicht gegeben ist.