StPO § 265 Abs. 2, StVG § 25; OWiG § 71 Abs. 1
Ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht angeordnet worden, so darf das Gericht im Einspruchsverfahren nur dann auf diese Nebenfolge erkennen, wenn es in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO den Betroffenen zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (Anschluss an BGHSt 29, 274 ff). Die Hinweispflicht soll den Betroffenen vor Überraschungen schützen, auf die er seine Verteidigung nicht hat einstellen können. Das Unterlassen eines solchen Hinweises begründet in der Regel die Rechtsbeschwerde und führt – bei unbeschränktem Rechtsmittel – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowohl im Schuld- als auch im Rechtsfolgenausspruch, da ansonsten dem Betroffenen die Möglichkeit der Rücknahme seines Einspruchs genommen würde.
(Leitsätze des Senats)
Thüringer OLG, Beschl. v. 26.2.2010 – 1 Ss 270/09
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle der Thüringer Polizei vom 6.11.2008 wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h außerorts um 24 km/h, begangen am 12.6.2008, eine Geldbuße von 40,- EUR festgesetzt.
Auf den Einspruch des Betroffenen hat das AG mit Urt. v. 6.5.2009 gegen den in der Hauptverhandlung abwesenden und anwaltlich in Untervollmacht vertretenen Betroffenen, der vor dem Termin seine Fahrereigenschaft zugestanden hatte und von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden worden war, im Hinblick auf dessen Voreintragungen im Verkehrszentralregister eine erhöhte Geldbuße von 150 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot wegen beharrlicher Verletzung seiner Pflichten als Kraftfahrzeugführer verhängt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hebt das OLG das Urteil des AG mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf und verweist die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das AG zurück.
Aus den Gründen:
“… II. … .2. … . Mit der Verfahrensrüge beanstandet der Betroffene zu Recht, dass das AG gegen ihn ein Fahrverbot nach § 25 StVG ausgesprochen hat, obwohl der Bußgeldbescheid eine solche Maßnahme nicht vorgesehen und das AG ihn oder seinen Verteidiger weder in noch vor der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit der Verhängung einer solchen Maßnahme hingewiesen hat.
Ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht angeordnet worden, so darf das Gericht im Einspruchsverfahren nur dann auf diese Nebenfolge erkennen, wenn es in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO den Betroffenen zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (vgl. BGHSt 29, 274 ff. [= zfs 1980, 252]; OLG Koblenz VRS 71, 209; OLG Düsseldorf VRS 77, 367 und 87, 203; OLG Hamm zfs 2005, 519). Die Hinweispflicht soll den Betroffenen vor Überraschungen schützen, auf die er seine Verteidigung nicht hat einstellen können. Das Unterlassen eines solchen Hinweises begründet in der Regel die Rechtsbeschwerde und führt – bei unbeschränktem Rechtsmittel – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowohl im Schuld- als auch im Rechtsfolgenausspruch, da ansonsten dem Betroffenen die Möglichkeit der Rücknahme seines Einspruchs genommen würde (vgl. OLG Düsseldorf VRS 87, 367; Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 71 Rn 50b).
Das AG hat einen entsprechenden Hinweis, der zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung gehören würde, in der Hauptverhandlung nicht erteilt. Dies steht auf Grund der negativen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls nach § 274 StPO fest. Auch vor der Hauptverhandlung ist ein Hinweis auf die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes in Abweichung vom Bußgeldbescheid nicht gegeben worden. Dies ergibt sich aus dem sonstigen Akteninhalt, der dem Senat auf Grund der zulässig ausgeführten Verfahrensrüge, ein solcher Hinweis sei auch nicht vor der Hauptverhandlung, insbesondere nicht mit der Ladung, erteilt worden, als Erkenntnisquelle zugänglich ist. Da der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde vorgetragen hat, er hätte die Rücknahme seines Einspruchs erwogen, um das Fahrverbot von sich abzuwenden, lässt sich schließlich auch nicht mit Sicherheit ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruht, weshalb es insgesamt aufzuheben ist. … .”
Mitgeteilt vom Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts und RA Dr. Ingo E. Fromm, Koblenz