OWiG § 17 Abs. 3 S. 2 1. Halbs.; GVG §§ 121 Abs. 1 Nr. 1; 121 Abs. 2; StVG §§ 25 Abs. 1 S. 1; 29 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; 29 Abs. 4 Nr. 3; 29 Abs. 6 S. 1; 29 Abs. 6 S. 2; 29 Abs. 7 S. 1; 29 Abs. 7 S. 2; 29 Abs. 8 S. 1; BKatV §§ 1 Abs. 2; 3 Abs. 1; 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
1. Maßgebender Zeitpunkt für das Eingreifen des in § 29 Abs. 8 S. 1 StVG enthaltenen gesetzlichen Verwertungsverbotes für im Verkehrszentralregister (VZR) getilgte Voreintragungen ist im Hinblick auf neue Taten des Betroffenen stets der Zeitpunkt des Erlasses des (neuen) tatrichterlichen Urteils.
2. Das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 S. 1 StVG besteht deshalb auch dann, wenn zwar noch während der Tilgungsfrist weitere Taten begangen wurden, hinsichtlich der Vorahndungen aber im maßgeblichen Zeitpunkt der Hauptverhandlung Tilgungsreife nach § 29 Abs. 6 S. 1 StVG eingetreten war.
3. Ein Verwertungsverbot besteht auch dann, wenn im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung die Überliegefrist des § 29 Abs. 7 StVG noch nicht abgelaufen war (Anschluss u.a. an OLG Bamberg DAR 2007, 38; OLG Karlsruhe zfs 2005, 411 f.; OLG Hamm NZV 2007, 156; OLG Brandenburg DAR 2008, 218; OLG Jena NZV 2008, 165 f.; OLG Schleswig zfs 2006, 348 f. und OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 87).
(Gerichtlich autorisierte Leitsätze)
OLG Bamberg, Beschl. v. 10.2.2010 – 2 Ss OWi 1575/09
Das AG verurteilte den Betr. am 27.7.2009 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h zu einer Geldbuße von 200 EUR und verhängte gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot. Auf Grund der Vorahndungen des Betr. hielt das AG die Verdoppelung der an sich verwirkten Regelgeldbuße von 100 EUR für geboten. Wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h (Tatzeit: 22.8.2006) sowie wegen zweier Unterschreitungen des Sicherheitsabstandes (Tatzeiten: 16.8.2006 bzw. 21.5.2007) waren gegen den Betr. jeweils Geldbußen, zuletzt über 200 EUR, festgesetzt worden. Rechtskraft trat am 3.11.2006, 18.11.2006 und zuletzt am 18.7.2007 ein.
Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung materiellen Rechts. Er beanstandet insbesondere, dass das AG entgegen § 29 VIII 1 StVG zu seinem Nachteil die im Verkehrszentralregister (VZR) noch enthaltenen Voreintragungen verwertet habe. Wegen des Rechtsfolgenausspruchs hat die GenStA beantragt, im Hinblick auf die erwartete Divergenz in der Auslegung der Bestimmung des § 29 VIII 1 StVG zu einem Beschluss des OLG Frankfurt v. 22.1.2009 – 2 Ss OWi 352/08 (= VRR 2009, 194 f. m. Anm. Gübner = NZV 2009, 350 ff. m. Anm. König = NStZ-RR 2009, 255 ff.) die Sache gem. § 121 II GVG dem BGH zur Entscheidung vorzulegen.
Die Rechtsbeschwerde blieb im Ergebnis ohne Erfolg. Einer Divergenzvorlage bedurfte es nicht mehr.
Aus den Gründen:
“ … Die gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betr. ist unbegründet.
1. Die Feststellungen des AG tragen den Schuldspruch sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht (wird ausgeführt).
2. Auch die Rechtsfolgenentscheidung weist im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf. Zwar hat das AG rechtsfehlerhaft die Voreintragungen des Betr. berücksichtigt, weil diese im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung einem Verwertungsverbot unterlagen und deshalb die verwirkte Regelgeldbuße verdoppelt. Die Erhöhung auf 200 EUR ist aber gleichwohl im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnissen des Betr. gerechtfertigt.
a) Das AG hält die Vorahndungen des Betr. für verwertbar, weil dem Wortlaut des § 29 Abs. 8 S. 1 StVG ein Verwertungsverbot hinsichtlich solcher Voreintragungen nicht zu entnehmen sei, die von der Überliegefrist des § 29 Abs. 7 S. 1 erfasst und deshalb noch nicht (endgültig) gelöscht worden seien. So könne der dort verwendete Begriff ‘getilgt’ zwar mit ‘gelöscht’, nicht aber mit ‘tilgungsreif’ gleichgesetzt werden. Ein Verwertungsverbot könne auch nicht aus § 29 VII 2 StVG hergeleitet werden, da diese Regelung zwar ein Verbot der Übermittlung und Auskunftserteilung für Vorahndungen während der Überliegefrist begründe, nach ihrem Wortlaut aber gerade nicht die Verwertbarkeit von Vorahndungen hindere. Im übrigen führe die gegenteilige Rechtsauffassung zu einer Benachteiligung derjenigen, die einen Bußgeldbescheid ohne Rechtsbehelf akzeptieren und sich damit nicht getilgte Vorahndungen vorhalten ließen, ohne durch Rechtsbehelfe das Verfahren hinauszuzögern, um auf diese Weise eine Tilgung eingetragener Verkehrsverstöße zu erreichen. Die Nichtberücksichtigung tilgungsreifer Vorahndungen in der Überliegefrist sei auch mit der gesetzgeberischen Intention und den Zweckbestimmungen des VZR nicht vereinbar.
b) Diese Rechtsauffassung ist rechtsfehlerhaft. Nach § 29 Abs. 8 S. 1 StVG ergibt sich für getilgte Voreintragungen im VZR ein gesetzliches Verwertungsverbot. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines solchen Verwertungsverbotes ist dabei imme...