StVG § 3 Abs. 1 S. 1; FeV §§ 46 Abs. 1, 3; 11 Abs. 2, 6, 8; 73; 66 Abs. 1, 65 S. 1; FeV Anlagen 4, 5, 6, 14, 15
Leitsatz
Zu den formellen und materiellen Voraussetzungen der Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens bei Bestehen hinreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Anfallsleidens (hier: Epilepsie) und der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Nichtbeibringung des Gutachtens (Amtlicher Leitsatz).
Der in Betracht kommende Gutachter kann vom betroffenen Kraftfahrer frei ausgewählt werden. Mit Blick auf §§ 66 Abs. 1, 65 S. 1 FeV i.V.m. Anlage 14 und 15 zur FeV besteht aber nicht die Möglichkeit, eine entsprechende Begutachtungsstelle in Frankreich mit der Untersuchung zu beauftragen oder das Gutachten eines in Frankreich ansässigen Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation vorzulegen (Leitsatz der Schriftleitung).
VG des Saarlandes, Urt. v. 18.2.2011 – 10 K 549/10
Sachverhalt
Der Kl. wendet sich mit vorliegender Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C1E, CE, M, S und L.
2 Aus den Gründen:
„Die zulässige Klage hat überwiegend keinen Erfolg.
Der Bescheid des Bekl. vom 17.8.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.5.2010 ist, soweit dem Kl. darin die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen entzogen und zugleich die Abgabe seines Führerscheins aufgegeben wurde, rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Kl. sind die §§ 3 Abs. 1 S. 1 StVG, 46 Abs. 1 S. 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt gem. § 46 Abs. 1 S. 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung lagen hier vor.
Der Bekl. war gem. § 73 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 FeV für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Kl. zuständig. Nach dieser Vorschrift ist für Maßnahmen, die das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen betreffen, jede untere Verwaltungsbehörde, mithin auch der Bekl., zuständig, sofern der Betroffene – wie hier der Kl., der in Frankreich wohnhaft ist – keinen Wohn- oder Aufenthaltsort im Inland hat.
Zu Recht ist der Bekl. auch auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 FeV von der fehlenden Kraftfahreignung des Kl. ausgegangen. Nach S. 1 dieser Regelung darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Dies setzt allerdings voraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anforderung eines solchen Gutachtens vorlagen und dass der Betroffene bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens auf die Folgen einer Nichtvorlage hingewiesen wurde (vgl. dazu ausführlich BVerwG, Urt. v. 11.12.2008, 3 C 26.07, DAR 2009, 212, und v. 9.6.2005, 3 C 21.04, NJW 2005, 3440, m.w.N.).
Beides war vorliegend der Fall.
Gem. § 46 Abs. 3 FeV sind die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend anzuwenden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Dies ist grundsätzlich anzunehmen, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen bestehen. Bloße Vermutungen reichen insofern nicht aus. Überdies muss die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel sein, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären (vgl. zu der Vorgängervorschrift des § 15b Abs. 2 StVZO: BVerwG, Urt. v. 5.7.2001, 3 C 13.01 [zfs 2002, 47 =] NJW 2002, 78).
Davon ausgehend waren nach dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der angefochtenen Verfügungen (vgl. BVerwG, u.a. Urt. v. 28.4.2010, 3 C 2.10, NJW 2010, 3318, und v. 25.2.2010, 3 C 15.09, Blutalkohol 47, 251) die Voraussetzungen für die streitgegenständliche Anforderung eines Gutachtens eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bei einer Begutachtungsstelle für Fahreignung erfüllt. Beim Kl. waren anlässlich einer am 15.11.2008 durchgeführten Verkehrskontrolle Ausfallerscheinungen, unter anderem Händezittern, verzögerte Reaktionen, deutliche Defizite in der Aufnahmefähigkeit sowie Schwanken des Oberkörpers, festgestellt worden, die er selbst ausweislich des Polizeiberichts des Verkehrskommissariats M. vom selben Tag auf seine von ihm als Epilepsie angegebene Erkrankung zurückgeführt hatte. Zudem hatte der Kl. nach dem Inhalt des ärztlichen Untersuchungsberichts vom 15.11.2008 angegeben, dass er bereits seit seiner Kindheit unter Epilepsie leide und trotz Implantation e...