Die Entscheidung des VII. ZS des BGH liegt auf der Linie der bisherigen BGH-Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten. Neu an dieser Entscheidung ist der Hinweis des Senats, dass es für die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten nicht auf die Darlegungs- und Beweislast ankommt. Somit kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch der Gegner des Beweisführers Privatgutachtenkosten erstattet erhalten, selbst wenn er das Gutachten vor Prozessbeginn in Auftrag gegeben hat. Die Grundzüge der Rechtsprechung des BGH zu den Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten sollen hier noch einmal dargestellt werden.
Unmittelbare Prozessbezogenheit
Zunächst müssen die Privatgutachterkosten dem konkreten Rechtsstreit zuzuordnen sein (BGH RVGreport 2009, 195 [Hansens]; BGH zfs 2018, 344 m. Anm. Hansens = RVGreport 2008, 191 [ders.]; BGH RVGreport 2013, 236 [ders.] Diese Voraussetzungen sind in folgenden Fallgestaltungen gegeben:
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Die Partei erteilt den Gutachtenauftrag, nachdem der Gegner Klage angedroht hat. |
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Die Partei hat den Gutachtenauftrag vor Klagezustellung erteilt, das Privatgutachten ist aber erst nach Zustellung der Klage erstellt worden, so BGH BRAGOreport 2003, 96 (Hansens). |
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Das Privatgutachten wird im Hinblick auf den laufenden Rechtsstreit in Auftrag gegeben, so BGH RVGreport 2012, 229 (ders.). |
Das hier vom Bekl. im Laufe des anhängigen Rechtsstreits in Auftrag gegebene Privatgutachten der I-GbR war somit prozessbezogen. Für die Erstattungsfähigkeit der Kosten der von dem Bekl. vorprozessual beauftragten K-GmbH war entscheidend, dass die Klageerhebung zum Zeitpunkt der Erteilung des Gutachtenauftrags unmittelbar bevorstand.
Notwendigkeit der Privatgutachtenkosten
Nach der hier auch vom VII. ZS des BGH herangezogenen ständigen Rechtsprechung des BGH (s. zfs 2012, 285 mit Anm. Hansens = RVGreport 2012, 229 [Hansens]; BGH RVGreport 2017, 182 [ders.] = AGS 2017, 536) sind diejenigen Kosten notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als notwendig ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der Erteilung des Gutachtenauftrags abzustellen (s. BGH RVGreport 2003, 96 [Hansens] = AGS 2003, 178; BGH RVGreport 2006, 315 [ders.] = AGS 2006, 461; BGH zfs 2012, 285 mit Anm. Hansens = RVGreport 2012, 229 [ders.]; BGH zfs 2013, 346 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 236 [ders.]). In Anwendung dieser Grundsätze können auch die Kosten für ein Privatgutachten erstattungsfähig sein, das im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens eingeholt worden ist (BGH RVGreport 2013, 276 [ders.]).
Vorliegend hat der VII. ZS des BGH auf einen Hauptanwendungsfall für die Erstattungsfähigkeit verwiesen:
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Die Partei wäre ohne Einholung eines Privatgutachtens zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage gewesen. Angesichts der Besonderheiten dieses Falles kam es dabei auch nicht auf die Darlegungs- und Beweislast an. |
Ferner ist noch auf eine zweite in der Rspr. des BGH behandelte Fallgestaltung hinzuweisen:
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Das Privatgutachten wird eingeholt, um die Richtigkeit eines Gerichtssachverständigengutachtens zu erschüttern oder gar zu widerlegen (BGH RVGreport 2012, 229 [Hansens]). Hier hat es sich um Privatgutachten der Kl. gehandelt, die der Bekl. erst verstehen und dann widerlegen musste. |
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Eine dritte hier nicht einschlägige Fallgestaltung betrifft den Sonderfall des Kfz-Haftpflichtprozesses. Dort können die von der Kfz-Haftpflichtversicherung veranlassten Privatgutachtenkosten dann erstattungsfähig sein, wenn Anhaltspunkte für den Verdacht eines versuchten Versicherungsbetrugs vorgelegen haben (s. BGH RVGreport 2013, 236 [ders.]). |
Keine Vorlage des Gutachtens im Rechtsstreit erforderlich
Nach Auffassung des BGH (RVGreport 2013, 236 [Hansens]) ist die Vorlage des Privatgutachtens im Rechtsstreit nicht erforderlich. Dies folgert der BGH daraus, dass für die Beurteilung der Notwendigkeit auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die kostenauslösende Maßnahme veranlasst wurde (so bereits BGH BRAGOreport 2003, 96 [Hansens]; BGH RVGreport 2012, 229 [ders.]). Danach hängt die Erstattungsfähigkeit weder von dem Ergebnis der Begutachtung noch von deren Überzeugungskraft ab. Deshalb stand hier der Erstattungsfähigkeit der Privatgutachtenkosten der Bekl. nicht entgegen, dass die Privatgutachter ihre Arbeit erst nach Abschluss der ersten Instanz durch Urteil v. 20.11.2011 beendet hatten.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens
zfs 5/2019, S. 285 - 287