1) Unfallereignisse können neben körperlichen Beeinträchtigungen auch seelische Reaktionen des Betroffenen hervorrufen, wobei dies auch davon abhängig sein kann, ob das Unfallopfer seelisch labil ist oder nicht (vgl. BGH NJW 1956, 1108; BGH NJW 2000, 862). Dass das Unfallereignis äquivalent kausal ist für etwaige seelische Beeinträchtigungen, ist nicht zu bezweifeln, aber für die Frage der Zurechnung zu Lasten des Schädigers unerheblich. Äquivalenz genügt nicht für die Zurechnung eines Schadensereignisses zu einer schädigenden Folge, vielmehr muss die weite Haftung, die sich beim Abstellen auf die Äquivalenz ergäbe, durch zusätzliche Kriterien eingeschränkt werden. Dabei sind die Adäquanz des Kausalverlaufs und der Schutzzweck der Norm heranzuziehen (vgl. BGH NJW 2012, 2964 Rn 12; BGH NJW 2005, 1420, 1421; BGH VersR 2000, 370). Ansonsten würde eine zu weite Haftung bestehen und die Gefahr begründen, dass gänzlich ungewöhnliche Kausalverläufe haftungsbegründend sind und der Zusammenhang der Haftung mit der haftungsbegründenden Norm nicht gesichert ist (vgl. Luckey, in: Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht, 6. Aufl., Kap. 1 Rn 158–163).
2) Diese Distanz der seelischen Beeinträchtigung zu einem Unfallereignis durch die Berücksichtigung zusätzlicher wertender Gesichtspunkte löst sich damit von einer naturwissenschaftlichen Betrachtung, was die Rspr. auch bei den Ausschlusstatbeständen beibehält. Hatte das Unfallereignis zunächst eine Körperverletzung herbeigeführt, kann die seelische Verarbeitung dazu führen, dass auch umgekehrt die ursprünglich körperliche Beeinträchtigung in eine seelische Störung "konvertiert"! Eine solche Konversionsneurose, die mit zurechnungsausschließenden Begehrensvorstellungen verbunden sein kann, schied aus, weil eine Körperverletzung des Geschädigten nicht vorlag (vgl. auch BGH VersR 1998, 201; BGH VersR 1998, 200).
Lag keine Körperverletzung vor, die im Sinne der Konversionsneurose umgeformt werden konnte, kann nach einem Unfallereignis der Geschädigte gleichwohl über Beschwerden klagen, was auf einer Fehlverarbeitung beruht.
3) Der in der Rspr. entwickelte Begriff der Renten- oder Begehrensneurose umschreibt das Bestreben des Geschädigten, trotz Fehlens einer körperlichen Verletzung bei dem Unfallereignis eine Haftung aus angeblichen psychischen Folgeschäden herzuleiten. Dass der angeblich Geschädigte in psychischer Hinsicht geschwächt ist, reicht nicht aus, ihm den Schadensersatzanspruch zu versagen. Der Schädiger kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als ob er einen gesunden Menschen verletzt hätte (vgl. BGH NJW 1996, 243; BGH NJW 2012, 296). Der Ansatz, mit dem die Rspr. häufig bei dieser Konstellation zu einer Versagung von Ansprüchen gelangt, ist ein anderer: Für den rechtlichen Ausschluss der Zurechnung soll es ausreichen, dass bei dem – angeblich – Geschädigten eine Begehrens- oder Rentenneurose vorliege. Der Geschädigte nehme den Unfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass, den Schwierigkeiten des Erwerbslebens auszuweichen (vgl. BGH NJW 2012, 2964 m.w.N.). Die Rspr. entwickelt damit einen eigenen Krankheitsbegriff, der in der Psychiatrie weit überwiegend abgelehnt wird (vgl. die Nachweise bei Doukoff, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff Praxis des Straßenverkehrs, 6. Aufl., § 2 Rn 1038) Die von Doukoff festgestellte Zurückhaltung der Heranziehung der Begehrensneurose als Ausschlusstatbestand für Schadensersatzansprüche (a.a.O., Rn 1039) mag auch auf der ablehnenden Stellungnahme der Fachwissenschaft zu der von der Rspr. angenommenen Motivlage des – vermeintlich – Geschädigten beruhen. Immerhin ist die Begehrensneurose in der Rspr. eine durchgesetzte Möglichkeit der Versagung von dubiosen Schadensersatzansprüchen, deren Voraussetzungen scharf konturiert sind und deren Schwerpunkt in der durch einen Gutachter zu klärenden Frage des Nachweises der Motivlage des Geschädigten liegt. Häufig wird sich das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes nicht mit der Erwägung begründen lassen, das angeblich psychische Schäden auslösende Ereignis sei nur eine Bagatelle gewesen. Das häufig vorkommende Schadensereignis einer Schädelprellung in Verbindung mit einem HWS-Schleudertrauma stellt keine Bagatelle dar, da jedes Schadensereignis, das Schmerzensgeldforderungen auslöst, keinen Bagatellcharakter mehr hat (vgl. Zoll, in: Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., 2. Teil Rn 34 m.w.N.) Die formelhafte Umschreibung für die Feststellung des Vorliegens einer anspruchsausschließenden Begehrenshaltung, dass sie "prägend" gewesen sein muss, ist auf eine Gesamtschau des Schweregerades des objektiven Unfallereignisses und seiner Folgen und auf die Persönlichkeit des Geschädigten abzustellen (vgl. OLG Hamm NJW 2014, 462; vgl. auch G. Müller VersR 1998, 33).
4) Die Beweislast für das Vorliegen einer Begehrensneurose obliegt dem Schädiger, da es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt (vgl. KG VersR 2002, 1429): Für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes der ...