BGB § 823; ZPO § 286
Leitsatz
1) Dramatisiert ein Beteiligter eines Verkehrsunfalls, der hierbei körperlich nicht verletzt worden ist, mit unzutreffenden Angaben zum versuchten Nachweis einer durch den Unfall herbeigeführten seelischen Verletzung die Geschehnisse, scheidet wegen fehlender Anknüpfungstatsachen auch die Annahme einer seelischen Verletzung aus.
2) Das gilt umso mehr, wenn das psychische Zustandsbild des angeblich Geschädigten durch eine Begehrensneurose geprägt ist. Das ist dann der Fall, wenn ein auch möglicherweise unbewusstes Streben des angeblich Geschädigten nach einer vorteilhaften Lebenssicherung oder die Anklammerung an eine vorgestellte Rechtsposition vorliegt, wobei der Unfall zum Anlass genommen wird, den Schwierigkeiten des Lebenskampfes auszuweichen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG München, Urt. v. 12.10.2018 – 10 U 44/17
Sachverhalt
Der Kl. macht die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung von Schmerzensgeld und Ersatz des Verdienstausfalls nach einem Verkehrsunfall sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. geltend. Der Kl., der einige Monate zuvor eine Umschulung zum Busfahrer wegen Wirbelsäulenbeschwerden vorgenommen hatte, befuhr mit einem Bus einen Sonderfahrstreifen, über den der Bekl. zu 1) mit seinem bei der Bekl. zu 2) haftpflichtversicherten Pkw von rechts kommend nach links wenden wollte. Trotz einer Vollbremsung kollidierte der Omnibus mit der linken Seite des Pkw.
Der Kl. fuhr am ersten Arbeitstag nach einigen freien Tagen erneut mit einem mit Fahrgästen besetzten Omnibus an der Unfallörtlichkeit vorbei und behauptet, dass er dort im Kopf die Bilder vom Unfall gesehen habe, mit den Kinderaugen im Fonds des Pkws, die ihn angefleht hätten, sie nicht zu töten, woraufhin er ohne verkehrsbedingten Anlass eine Vollbremsung und nach seiner letzten Behauptung auch in der Weiterfahrt ständig weitere anlasslose Vollbremsungen einleitete. Danach war der Kl. arbeitsunfähig krankgeschrieben und macht eine zur Erwerbsunfähigkeit führende posttraumatische Belastungsstörung geltend. Auch behauptet er, unfallbedingt eine HWS- und LWS-Distorsion in zwei Ebenen erlitten zu haben.
Die alleinige Haftung der Bekl. für das Unfallereignis ist unstreitig. Eine Vorauszahlung der Bekl. von 5.000 EUR ist einvernehmlich auf das Schmerzensgeld verrechet worden. Das LG hat nach Beweisaufnahme der Klage überwiegend stattgegeben. Die Berufung der Bekl. war erfolgreich, die des Kl. blieb ohne Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… Das LG hat zu Unrecht einen Anspruch des Kl. auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. für künftige Schäden bejaht. Der Kl. erlitt durch den Unfall keine Verletzungen. Er nahm vielmehr, ohne dass er körperlich verletzt worden wäre, eine Bagatelle zum Anlass für eine psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens, bei der spätestens ab 11.9.2006 eine Begehrensneurose prägend im Vordergrund stand."
1. Der Senat geht aufgrund der Angaben des Kl. und des Bekl. zu 1) davon aus, dass der Kl. aus einer Ausgangsgeschwindigkeit des von ihm gesteuerten Busses von etwa 45 km/h eine Vollbremsung einleitete, als er erkannte, dass der Bekl. zu 1) aus dem Stand von der linken Fahrspur stadteinwärts der R. Straße (rechts neben ihm) anfahrend einen Wendevorgang über den Sonderfahrstreifen für Busse nach links einleitete.
Der Senat folgt den Ausführungen des Sachverständigen Dr. A., dessen hervorragende Sachkunde dem Senat aus einer Vielzahl von eingeholten Gutachten und Anhörungen vor dem Senat sowohl in unfallanalytischer als auch in biomechanischer Hinsicht bekannt ist, wonach ausgehend von einer realistischen Anfahrbeschleunigung des Pkws von 1,4 m/s2 und einem sehr engen Wendebogen in einer Länge von etwa 7 m der Wendevorgang vom Beginn bis zur Kollision rechnerisch 3,16 Sek. dauerte. Der Kl. konnte sofort beim Wendebeginn noch nicht erkennen, dass tatsächlich ein vollständiger Wendevorgang durchgeführt werden soll, weshalb von einer etwas erhöhten Reaktionszeit von insgesamt 1,3 Sek. gegenüber sonst 0,8 Sek. auszugehen ist und unter Berücksichtigung einer Schwelldauer der Bremsanlage von 0,3 Sek. dem Kl. noch rechnerisch 1,56 Sek. verblieben, um den Omnibus voll abzubremsen. Unter Berücksichtigung der Kollisionsgeschwindigkeit von 8 km/h, an der sich gegenüber dem schriftlichen Gutachten Dr. A. Änderungen nicht ergeben haben, ergibt sich somit eine Ausgangsgeschwindigkeit des Omnibusses wie vom Kl. angegeben von gerundet 45 km/h. Zu Beginn des Wendevorgangs, also 3,16 Sek. vor Kollision, hatte der Omnibus (Front) zum Beklagtenfahrzeug (Heck) einen Abstand von gerundet 24 m. Am Ende der Reaktionszeit des Kl., also am Beginn der Schwellung der Bremse (also nach 1,3 Sek.), war der Abstand (Front Bus – Heck Pkw) immer noch gerundet 9 m. Dass keine heftige Kollision mehr stattfinden würde, stand aufgrund der bereits deutlichen Geschwindigkeitsreduktion schon kurz nach der einsetzenden Vollbremsung fest, also etwa 1,4–1,0 Sek. vor dem Zusammenstoß. Die für den Körper des Kl. relevante kollisionsbedingte ...