StPO § 147
Leitsatz
Gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 StPO hat der Verteidiger des Betr. ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weiteren Unterlagen oder Datenträger bezieht, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, aus denen sich der Schuldvorwurf ergeben soll und die möglicherweise auch der Entlastung des Betr. dienen können.
AG Nauen, Beschl. v. 15.1.2019 – 34 OWi 3/19
Sachverhalt
Das Land Brandenburg, Zentraldienst der Polizei, Zentrale Bußgeldstelle Gransee (im Folgenden "Verwaltungsbehörde" genannt), führt gegen den Betr. ein Bußgeldverfahren wegen des Verdachts der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften. Die Messung erfolgte mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsmessgerät PoliScan FM1.
Der Verteidiger begehrte unter anderem die Überlassung der gesamten Messreihe im Original mit Passwort und Token. Die Verwaltungsbehörde lehnte das Begehren des Verteidigers ab. Der Verteidiger beantragte sodann gerichtliche Entscheidung.
Das AG Nauen hat entscheiden, dem Verteidiger Einsicht in die Original-Messreihe nebst Passwort und Token zu gewähren, indem die entsprechenden Dateien auf einen vom Verteidiger zur Verfügung gestellten Datenträger übertragen werden. Wird kein Speichermedium zur Verfügung gestellt, ist dem Verteidiger die Möglichkeit der Einsichtnahme in den Räumlichkeiten einer Verwaltungsbehörde in unmittelbarer Nähe zum Kanzleisitz des Verteidigers einzuräumen.
2 Aus den Gründen:
"… Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG zulässig."
Er hat auch in der Sache Erfolg.
Gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 StPO hat der Verteidiger des Betr. ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weiteren Unterlagen oder Datenträger bezieht, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, aus denen sich der Schuldvorwurf ergeben soll und die möglicherweise auch der Entlastung des Betr. dienen können. Das umfassende Akteneinsichtsrecht der Verteidigung ist außerdem aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens begründet. Die Verteidigung muss, ggf. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen, die erfolgte Messung in allen Einzelheiten auch und gerade hinsichtlich möglicher Fehlerquellen überprüfen können. Zudem muss sie auch in die Lage versetzt werden, ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten überprüfen zu können.
Hierzu muss dem Verteidiger auf seinen Antrag neben der Falldatei des Betr. auch die Original-Messreihe zur Verfügung gestellt werden. Wenn das Gericht ein Sachverständigengutachten einholt, muss der gerichtlich bestellte Sachverständige die gesamte Messreihe überprüfen, da sich Hinweise auf Fehler nicht nur aus der einzelnen Falldatei des Betr., sondern auch aus der Messreihe insgesamt ergeben können. Spiegelbildlich hierzu muss auch der Verteidigung auf ihren Antrag im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens die Möglichkeit gegeben werden, selbst diese umfassende Überprüfung mit sachverständiger Hilfe bereits vorab vorzunehmen. Nur so kann der Betr. in die Lage versetzt werden, dem Gericht konkrete Hinweise auf Fehler der Messung vorzutragen, um die Vermutung des standardisierten Messverfahrens entkräften zu können. Die Verteidigung hat hierfür ein geeignetes Speichermedium zur Verfügung zu stellen, auf das die Dateien durch die Behörde übertragen werden können. Sofern ein Speichermedium nicht zur Verfügung gestellt wird, muss dem Verteidiger die Akteneinsicht insoweit in einer Polizeidienststelle oder anderen Verwaltungsbehörde in unmittelbarer Nähe zum Kanzleisitz des Verteidigers bzw. des von ihm beauftragten Sachverständigen eingeräumt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 3 StPO. …“
Einsender: RA Körbs, Bitterfeld-Wolfen
zfs 5/2019, S. 294 - 295