BGB § 275 § 434 § 439
Leitsatz
a) Ein Fahrzeug ist nicht frei von Sachmängeln, wenn die Software der Kupplungsüberhitzungsanzeige eine Warnmeldung einblendet, die den Fahrer zum Anhalten auffordert, um die Kupplung abkühlen zu lassen, obwohl dies auch bei Fortsetzung der Fahrt möglich ist.
b) An der Beurteilung als Sachmangel ändert es nichts, wenn der Verkäufer dem Käufer mitteilt, es sei nicht notwendig, die irreführende Warnmeldung zu beachten. Dies gilt auch dann, wenn der Verkäufer zugleich der Hersteller des Fahrzeugs ist.
c) Der Verkäufer eines mit einem Softwarefehler behafteten Neufahrzeugs kann der vom Käufer beanspruchten Ersatzlieferung eines mangelfreien Fahrzeugs nicht entgegenhalten, diese sei unmöglich geworden (§ 275 Abs. 1 BGB), weil die nunmehr produzierten Fahrzeuge der betreffenden Modellversion mit einer korrigierten Version der Software ausgestattet seien.
d) Der Wahl der Nacherfüllung durch Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache steht – in den Grenzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) – grds. nicht entgegen, dass der Käufer zuvor vergeblich Beseitigung des Mangels (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB) verlangt hat.
e) Das Festhalten des Käufers an dem wirksam ausgeübten Recht auf Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache ist – ebenso wie das Festhalten des Käufers an einem wirksam erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag (BGH, Urt. v. 5.11.2008 – VIII ZR 166/07, NJW 2009, 509 Rn 23; v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, NJW 2017, 153 Rn 31) – nicht treuwidrig, wenn der Mangel nachträglich ohne Einverständnis des Käufers beseitigt wird (hier durch Aufspielen einer korrigierten Version der Software).
f) Ob die vom Käufer beanspruchte Art der Nacherfüllung (hier: Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache) im Vergleich zu der anderen Variante (hier: Beseitigung des Mangels) wegen der damit verbundenen Aufwendungen für den Verkäufer unverhältnismäßige Kosten verursacht und diesen deshalb unangemessen belastet, entzieht sich einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung und ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung und Würdigung aller maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls unter Berücksichtigung der in § 439 Abs. 3 S. 2 BGB a.F. (§ 439 Abs. 4 S. 2 BGB) genannten Kriterien festzustellen.
g) Für die Beurteilung der relativen Unverhältnismäßigkeit der vom Käufer gewählten Art der Nacherfüllung im Vergleich zu der anderen Art ist grds. auf den Zeitpunkt des Zugangs des Nacherfüllungsverlangens abzustellen.
h) Der auf Ersatzlieferung in Anspruch genommene Verkäufer darf den Käufer nicht unter Ausübung der Einrede der Unverhältnismäßigkeit auf Nachbesserung verweisen, wenn der Verkäufer den Mangel nicht vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigen kann.
i) § 439 Abs. 2 BGB kann verschuldensunabhängig auch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten erfassen, die dem Käufer entstehen, um das Vertragsziel der Lieferung einer mangelfreien Sache zu erreichen.
BGH, Urt. v. 24.10.2018 – VIII ZR 66/17
Sachverhalt
Der Kl. kaufte im Jahre 2012 von der beklagten Händlerin und Herstellerin einen Neuwagen. Das Fahrzeug war mit einem Schaltgetriebe und einer Software ausgestattet. Ab Januar 2013 erschien im Display des Fahrzeuges die Aufforderung, wegen drohender Überhitzung der Kupplung das Fahrzeug 45 Minuten lang abzustellen. Technisch erforderlich war das nicht, da die Kupplung nicht überhitzt war.
Nach mehreren erfolglosen Nachbesserungsversuchen forderte der Kl. die Bekl. unter Fristsetzung zur Nachlieferung auf. Während des laufenden Rechtstreits, in dem der Kl. seinen Anspruch weiterverfolgte, übergab der Kl. das Fahrzeug der Bekl. zur Durchführung von Kundendienstarbeiten. Die Bekl. nahm ohne Kenntnis des Kl. ein weiteres Softwareupdate vor, und behauptet, die fehlerhafte Warnmeldung sei nunmehr entfernt und das Fahrzeug damit mangelfrei geworden. Das LG hat die “Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat der Klage in weit überwiegendem Umfang zugesprochen. Revision und Anschlussrevision führten zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.
2 Aus den Gründen:
"… [24] 2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kl. stehe gem. § 437 Nr. 1, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB ein Anspruch auf Nacherfüllung in der von ihm gewählten Form der Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache zu, ist nicht frei von Rechtsfehlern."
[25] Zwar wies das dem Kl. veräußerte Neufahrzeug bei Gefahrübergang im September 2012 einen Sachmangel auf. Aufgrund einer Fehlfunktion der Fahrzeugsoftware in Gestalt einer irreführenden Warnmeldung eignete es sich nicht für die gewöhnliche Verwendung und wies nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB).
[26] Die Ersatzlieferung eines von Sachmängeln freien Fahrzeugs der vom Kl. erworbenen Modellversion ist auch nicht unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB). Ebenso wenig steht der vom Kl. mit Anwaltsschreiben vom 13.7.2013 gewählten Nacherfüllung durch Ersatzlieferung entgegen, dass er zuvor Nachbesserung verlangt hat. ...