RVG § 15 Abs. 2 § 17 Nr. 1 § 20; GVG § 17b Abs. 2 und 3 GVG
Leitsatz
1. Wird eine Sache im Rechtsmittelverfahren an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen oder abgegeben, so ist das weitere Verfahren vor diesem Gericht gem. § 20 S. 2 RVG auch gegenüber dem Verfahren des zuerst angerufenen Gerichts eine eigene Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG. Eine Anrechnung der Gebühren findet nicht statt.
2. Die Vorschrift des § 20 S. 2 RVG gilt unabhängig davon, ob das ursprünglich angerufene erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit bejaht oder verneint hat.
BGH, Beschl. v. 20.11.2019 – XII ZB 63/19
Sachverhalt
Der Ehemann erhob gegen die Ehefrau beim LG Schwerin nach rechtskräftiger Ehescheidung eine auf Gesamtschuldnerausgleich gerichtete Klage. Das LG hat die Klage als unzulässig unter anderem mit der Begründung abgewiesen, es handele sich um eine Familiensache, für die das LG unzuständig sei. Auf die Berufung des Ehemannes hat der zuständige Zivilsenat des OLG Rostock das Urt. des LG Schwerin aufgehoben und den Rechtsstreit von Amts wegen an das örtlich zuständige AG Schwerin – Familiengericht – verwiesen. Das AG Schwerin hat den Antrag des Ehemannes aus Sachgründen abgewiesen. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Der Familiensenat des OLG Rostock hat – soweit hier von Interesse – in seinem Teilanerkenntis- und Schlussbeschluss v. 22.12.2016 hinsichtlich der Kosten dem Ehemann die Mehrkosten auferlegt, die durch die Klage zu dem unzuständigen LG Schwerin entstanden sind und der Ehefrau die Kosten der übrigen Rechtszüge des Verfahrens.
Auf Antrag der Ehefrau hat der Rechtspfleger des AG Schwerin – FamG – die von dem Ehemann zu erstattenden Anwaltskosten für das Verfahren vor dem LG Schwerin auf 4.051,95 EUR und für das Verfahren vor dem Zivilsenat des OLG Rostock auf 4.607,53 EUR jeweils mit Zinsen festgesetzt. Die von dem Ehemann gegen diese beiden Kostenfestsetzungsbeschlüsse gerichteten sofortigen Beschwerden hat das OLG Rostock (AGS 2019, 452) zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat das OLG damit begründet, die Verpflichtung des Ehemanns zur Kostenerstattung folge aus § 20 S. 2 RVG i.V.m. § 17b Abs. 2 S. 2 GVG. Im Fall der so genannten Diagonalverweisung sei das weitere Verfahren nach § 20 S. 2 RVG ein neuer Rechtszug. Dies treffe auf die vorliegende Verweisung durch den Zivilsenat des OLG an die Familienabteilung des AG zu, weshalb diese beiden Gerichte gebührenrechtlich keine Einheit bildeten. Nach der Kostengrundentscheidung des OLG habe der Ehemann die durch die Klage beim unzuständigen Gericht entstandenen Mehrkosten – mit Ausnahme der Gerichtskosten – zu tragen. Dies schließe neben den Kosten für das Verfahren vor dem LG auch die Kosten für das Berufungsverfahren vor dem OLG ein.
Die vom OLG Rostock zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der der Ehemann die Aufhebung der beiden Kostenfestsetzungsbeschlüsse erstrebt hat, blieb beim BGH erfolglos.
2 Aus den Gründen:
"… II."
[5] Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg … .
[8] 2. Der Ehemann ist verpflichtet, die Kosten in der festgesetzten Höhe zu erstatten.
[9] Gemäß der Kostengrundentscheidung vom 22.12.2016 trägt der Ehemann die Mehrkosten, die durch die Anrufung des LG entstanden sind. Diese umfassen die Kosten sowohl des Verfahrens vor dem LG als auch des hieraus hervorgegangenen Berufungsverfahrens vor dem Zivilsenat des OLG. Gemäß §§ 15 Abs. 2, 17 Nr. 1, 20 S. 2 RVG handelt es sich dabei um eigene gebührenrechtliche Angelegenheiten. Denn der Zivilsenat des OLG hat die Sache an ein zuvor noch nicht angerufenes Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen (sog. Diagonalverweisung i.S.v. § 20 S. 2 RVG).
[10] a) Ohne Erfolg wendet die Rechtsbeschwerde ein, die Vorschrift des § 20 S. 2 RVG gelte nach ihrem Sinn und Zweck nur dann, wenn sich das zuerst angerufene Gericht als zuständig betrachte (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 24. Aufl. § 20 Rn 7). Auch Verweisungsfälle der vorliegenden Art, in denen zwar schon das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneint, aber – gleich aus welchem Grund – erst das höhere Gericht die Sache an das zuständige Gericht verweist, sind vom Anwendungsbereich des § 20 S. 2 RVG umfasst. Diese Vorschrift legt die Anzahl der Rechtszüge unabhängig davon fest, aus welchem Grund das höhere Gericht die Sache verweist. Für die von der Rechtsbeschwerde der Sache nach intendierte teleologische Reduktion findet sich keine Grundlage. Denn Sinn und Zweck der Regelung verlangen hier keine vom Wortlaut abweichende Auslegung (zu den Voraussetzungen der teleologischen Reduktion (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. Einl. Rn 49).
[11] Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 20 S. 2 RVG einen im Vergleich zur Horizontalverweisung nach § 20 S. 1 RVG typischerweise erhöhten anwaltlichen Aufwand berücksichtigt hat. Zum einen ist jedoch die Annahme, wonach unter den Fällen der so genannten Diagonalverweisung der anwaltliche Aufwand dann geringer ausfalle, wenn die Zuständigkeit bereits in erster Instanz streitig sei, nicht zwin...