VVG § 84 Abs. 1 S. 1; AKB 2008 A 2.17
Leitsatz
Einer die Bindungswirkung eines in einem Sachverständigenverfahren eingeholten Gutachtens beseitigenden offenbaren erheblichen Abweichung von der wahren Sachlage, die derjenige beweisen muss, der sich auf sie beruft, steht die Notwendigkeit einer eingehenden Prüfung der Richtigkeit des Gutachtens nicht entgegen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Naumburg, Urt. v. 16.1.2019 – 4 U 35/16
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Höhe einer Entschädigung, welche der Kl. nach einem Wohnmobilbrand, für den die Bekl. als Kaskoversicherer dem Grunde nach einstandspflichtig ist, beanspruchen kann. Auf Grund eines technischen Defekts kam es im Wohnbereich des Fahrzeugs zwischen dem 10. und dem 11.3.2014 zu einem Brand.
Nachdem sich die Parteien über die Höhe einer zu leistenden Entschädigung nicht einigen konnten, fand auf Antrag des Kl. ein Sachverständigenverfahren nach A.2.17 der AKB statt. Da die von den Parteien benannten SV keine Einigung über die Höhe der notwendigen Reparaturkosten erzielen konnten, erstattete der zuvor als Obmann bestimmte Dipl.-Ing. Sch. anschließend unter dem 23.4.2015 ein Gutachten und gelangte zu Nettoreparaturkosten von 7.600 EUR. Ausgehend von diesem Betrag leistete die Bekl. abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung (150 EUR) 7.450 EUR als Entschädigungsleistung an den Kl.
Der Kl. ist der Auffassung, das Sachverständigengutachten vom 23.4.2015 sei offensichtlich unrichtig und deshalb für ihn im Ergebnis nicht bindend. (…) Da – insoweit unstreitig – die Einbauten, anders als bei Wohnmobilen sonst üblich, nicht auf Schienen verbaut, sondern fest mit der Außenhaut des Fahrzeugs verbunden sind, sei eine vollständige Demontage der Einbauten besonders aufwändig und kostenträchtig. Der als Obmann tätig gewordene Dipl.-Ing. Sch. habe in diesem Zusammenhang offenkundig verkannt, dass das Wohnmobil über eine Umluftheizung verfüge, weshalb die Einbauten hinterlüftet seien und in diesen hinterlüfteten Bereichen ebenfalls der Reinigung bedürften.
2 Aus den Gründen:
"…"
Dem Kl. steht unter Berücksichtigung der bereits erhaltenen 7.450 EUR kein weiterer Anspruch auf Entschädigungsleistung gegen die Bekl. zu. Es ist dem Kl. nicht gelungen nachzuweisen, dass der vom Obmann festgestellte Entschädigungsbetrag i.H.v. netto 7.600 EUR offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht.
1. Die Parteien haben in Ziffer A.2.17 der AKB bei Meinungsverschiedenheiten über die Schadenshöhe das Sachverständigenverfahren vereinbart. Das Sachverständigenverfahren ist entsprechend den Vorgaben in A.2.17 der AKB ordnungsgemäß durchgeführt worden. Bei einer hier bestehenden Meinungsverschiedenheit über die Höhe des Schadens und über den Umfang der erforderlichen Reparaturarbeiten ist nach A.2.17 Nr. 1. das Sachverständigenverfahren ausdrücklich eröffnet. Nachdem die von den Parteien jeweils benannten SV ihre Gutachten erstattet hatten und sich nicht einigen konnten, war der zuvor als Obmann bestimmte Dipl.-Ing. Sch. berufen, abschließend Feststellungen zu treffen (A.2.17 Nr. 3. S. 1 AKB).
Nach § 84 Abs. 1 S. 1 VVG ist die getroffene Feststellung des SV im Sachverständigenverfahren nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. Nach S. 2 dieser Vorschrift erfolgt in diesem Fall die Feststellung durch gerichtliche Entscheidung. Die Beweislast trägt die Partei, welche die Bindungswirkung nicht gelten lassen will (OLG Düsseldorf zfs 2010, 451).
Das Sachverständigenverfahren soll durch eine bindende Feststellung Streit vermeiden. Schon deshalb ist bei den Kriterien, die diese befriedende Funktion entfallen lassen, Zurückhaltung geboten. Erforderlich ist eine erhebliche Abweichung, die auch als solche offenbar sein muss (Prölss/Martin/Voit, 30. Aufl. § 84 VVG, Rn 23).
Die Abweichung muss sich auf das Gesamtergebnis, nicht auf die Bewertung von Einzelpositionen beziehen. Als Maßstab gilt, dass jedenfalls Abweichungen unter 10 % nicht erheblich sind (BGH zfs 1987, 284, Prölss/Martin/Voit, a.a.O., Rn 25/26).
Eine solche erhebliche Abweichung hat der Kl. behauptet. Die erhebliche Abweichung ist offenbar, wenn sie sich einem Fachkundigen mit Deutlichkeit ergibt. Dass dazu eine eingehende Prüfung erforderlich ist, steht dem Erfordernis einer “offenbaren' Unrichtigkeit nicht entgegen (Prölss/Martin/Voit, a.a.O., Rn 28).
2. Das LG hat im Ergebnis dem Gutachten des Obmanns zutreffend Bindungswirkung für die Höhe der Reparaturkosten beigemessen und die Klage deshalb zu Recht abgewiesen, da der Kl. eine offenbare, erhebliche Abweichung von den Feststellungen des SV nicht beweisen konnte.
Der berufene Obmann hat die Notwendigkeit einer Demontage aller Einbauten des Wohnmobils, wie sie dem Kl. vorschwebt, für eine Schadensbeseitigung als nicht notwendig erachtet. Dafür, dass er hierbei wesentliche Tatsachen nicht oder unvollständig berücksichtigt hätte und deshalb zu einer offenbar unrichtigen Einschätzung der Reparaturkosten gelangt wäre, lässt sich nach dem durch den Senat eingeholten Gutachten des ...