In der Entscheidung v. 31.5.2016 stellt der BGH klar, dass das Risiko einer Vorerkrankung generell zu berücksichtigen ist.
Die Entscheidung erging im Rahmen eines Haftpflichtprozesses. Die Klägerin hatte sich nach der Diagnose eines Cervex-Karzinoms einer Strahlentherapie unterzogen. In der Folgezeit kam es zu Lymphödemen in beiden Beinen, starken Verhärtungen im kleinen Becken, persistierenden Fieberschüben sowie zu einer schweren arteriellen Verschlusserkrankung der Beckenarterien rechts. Im Jahre 2006 erfolgte bei der Klägerin die Implantation eines Stents in der Beckenarterie rechts, im Jahre 2007 eine erneute Implantation zweier Stents. Im Januar 2009 wurde ein extra anatomischer Cross-Over-Bypass implantiert. Aufgrund der bei ihr auftretenden Fieberschübe wandte sich die Klägerin an den Beklagten. Dieser hatte nach einer Computertomographie am 2.4.2008 den Verdacht auf eine konglomeratartige Veränderung möglicherweise mit Fistelung und abgekapselten Flüssigkeitsarealen. Er führt deshalb im April 2008 eine feine Nadelpunktion des Flüssigkeitsareals durch, bei der er die Höhle mit medizinischem Alkohol spülte. Unmittelbar nach der Alkoholinstallation kam es zu ausgeprägten Schmerzzuständen im linken Bein der Klägerin mit fast vollständiger linksseitiger Parese des linken Beins. Die Klägerin wurde deshalb zur intensivmedizinischen Behandlung in das Gemeinschaftsklinikum K überführt. Bei der Aufnahme dort bestand bereits eine vollständige Stuhl- und Harninkontinenz. Eine Computertomographie des Beckens zeigte eine ödematöse Schwellung mit beginnender Nekrose der Glutealmuskulatur links. Es wurde ein Anus praeter angelegt, der bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht beseitigt werden konnte. Entsprechendes gilt auch für eine eingetretene Harninkontinenz. Die Klägerin war aufgrund der Schädigung ihres Nervus ischiadicus links und des Nervus femoralis links mit Plegie des linken Fußes und der linken Oberschenkelmuskulatur massiv in ihrer Fortbewegungsfähigkeit beeinträchtigt.
Der Beklagte hatte sich damit verteidigt, dass ausweislich einer MR-Angiographie der Becken- und Beingefäße am 3.8.2009 ein beidseitiger Verschluss der Arteria iliaca interna bei der Beklagten festgestellt worden sei. Es sei daher im Zeitraum von Februar 2007 bis August 2009 zu einer raschen Progredienz der radiogen-induzierten und durch Nikotin verstärkten Gefäßschädigung gekommen. Mit einer weiteren Zunahme der diesbezüglichen Behinderung sei daher zu rechnen gewesen. Die arterielle Verschlusserkrankung der Klägerin hätte auch ohne den Behandlungsfehler zu einer massiven Beeinträchtigung ihrer Leistungs- und Erwerbsfähigkeit geführt. Sie hätte daher ihren Haushalt auch ohne das haftungsbegründende Ereignis auf Dauer nicht weiterführen können und ihrer Berufstätigkeit nicht uneingeschränkt nachkommen können.
Der BGH weist darauf hin, dass der Erwerbsschaden und die vermehrten Bedürfnisse der Klägerin dem Schädiger dann nicht zuzurechnen seien, wenn dieser in Folge einer bereits vorhandenen Erkrankung oder Disposition auch ohne das schadenschaffende Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz oder teilweise eingetreten wäre. Bei Vorhandensein einer Schadensanlage, die zum gleichen Schaden geführt hätte (sog. Reserveursache), ist die Schadenersatzpflicht auf die Nachteile beschränkt, die durch den früheren Schadeneintritt bedingt sind. Allerding muss der Schädiger den Eintritt der Reserveursache nachweisen.
Damit lässt es der BGH jedoch nicht bewenden. Er weist darauf hin, dass der Tatrichter bei der Ermittlung sowohl der Höhe als auch der Dauer des dem Geschädigten entstandenen Verdienstausfalls eine Prognose des gewöhnlichen Laufs der Dinge anzustellen hat. Insoweit geht es nicht um die Berücksichtigung eventueller überholender Kausalitäten, sondern um die Schadensermittlung als solche auf der Basis des Sachverhalts, der sich voraussichtlich in Zukunft dargestellt hätte. In diesem Zusammenhang kommt nicht nur der Frage Bedeutung zu, ob auch ohne das konkrete Schadensereignis beim Verletzten eine entsprechende gesundheitliche Entwicklung mit vergleichbaren beeinträchtigenden Auswirkungen zum Tragen gekommen wäre. Vielmehr ist auch das Risiko in die Betrachtung mit einzubeziehen, dass durch die bereits vorhandene Erkrankung für die künftige berufliche Situation des Geschädigten bestanden hätte. Eine Verdienstausfallrente ist daher auf die voraussichtliche Dauer der Erwerbstätigkeit des Geschädigten, wie sie sich ohne das haftungsbegründende Ereignis dargestellt hätte, zu begrenzen. Insoweit sind Anhaltspunkte für eine vom gesetzlich vorgesehen Normalfall abweichende voraussichtliche Entwicklung zu berücksichtigen.