Aber auch wenn die überholende Kausalität nicht zu beweisen ist, ist die Schadenanlage oder die Vorschädigung für die Bemessung des Schadens nicht ohne Bedeutung. Die nachfolgenden Ausführungen gelten nicht nur für die Berechnung des Verdienstausfalles sondern auch für den Haushaltsführungsschaden.
1. BGH Urt. v. 11.11.1997 – VI ZR 376/96
a)
In der Entscheidung des BGH v. 11.11.1997 ging es um die Ersatzpflicht für einen eingetretenen Verdienstausfall.
Der Geschädigte war bei einem Verkehrsunfall mit seinem Kopf an den Türrahmen gestoßen. Bei der anschließenden ambulanten und röntgenologischen Untersuchung in einem Krankenhaus wurde bei grob neurologisch unauffälligem Befund eine Schädelprellung bei HWS-Schleudertrauma ohne äußere Anzeichen oder Anzeichen für eine Gehirnerschütterung festgestellt. Der behandelnde Arzt stellte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für 5 Tage aus. Er hielte eine ambulante hausärztliche Betreuung für ausreichend. In der Folgezeit klagte der Kläger jedoch über weitere körperliche Beschwerden, insbesondere über Lähmungserscheinungen. Diese Beschwerden führte er auf den erlittenen Unfall zurück. Er gab aufgrund der Beschwerden den weiteren Betrieb seines Möbelgeschäftes ein Jahr nach dem Unfall auf. Er begehrte nun ein weiteres Schmerzensgeld und die Erstattung des Verdienstausfalles von monatlich 3.500 DM.
Die Klage blieb in den Instanzen ohne Erfolg. Das OLG ging davon aus, dass die Beschwerden des Klägers nicht auf organischen Veränderungen anlässlich des Unfalls beruhen. Vielmehr handele es sich um psychogene Körperstörungen. Der vom OLG angehörte Sachverständige ging von einer sog. narzisstischen Persönlichkeitsstörung des Klägers aus, die in Verbindung mit beruflichen und partnerschaftlichen Problemen durch den Unfall aktiviert worden sei. Dadurch habe der Kläger die ursprünglich aufgrund der Unfallverletzung vorhandenen Beschwerden akzentuiert und ausgebaut. Hierbei hätten auch Sicherungs- und Entschädigungswünsche eine Rolle gespielt. Die psychischen Unfallfolgen seien lediglich rein zufällig durch das Unfallgeschehen ausgelöst worden und hätten in gleicher oder ähnlicher Weise auch aus womöglich geringfügigen anderen Anlässen eintreten können.
Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Angelegenheit zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen. Der Senat bejaht in diesem Falle die Haftung auch für die psychischen Schäden, da es sich entgegen der Auffassung des OLG nicht um einen Bagatellunfall gehandelt habe. Unter dem Gesichtspunkt einer Renten- oder Begehrensneurose könne die Zurechnung des psychischen Schadens nicht verneint werden. Den Feststellungen des OLG lasse sich nicht entnehmen, dass bei der seelischen Fehlentwicklung des Klägers ein neurotisches Streben nach Versorgung und Sicherung prägend im Vordergrund gestanden habe. Der BGH weist das OLG weiter darauf hin, dass selbst dann, wenn der Zurechnungszusammenhang bejaht werden müsste, die psychische Disposition des Klägers nicht ohne Bedeutung sei. Insbesondere bei der Ermittlung des Verdienstausfalles müsste der Richter unter Heranziehung aller – im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zur Verfügung stehenden – Gesichtspunkte eine Prognose des gewöhnlichen Laufs der Dinge, wie sie sich ohne das Schadensereignis entwickelt hätten, anstellen. Dabei geht es nach Auffassung des BGH nicht um die Beurteilung eventuell überholender Kausalitäten, sondern um die Schadensermittlung als solche auf der Basis des Sachverhalts, wie er sich voraussichtlich in Zukunft dargestellt hätte. Wenn ernsthaft Risiken aus der psychischen Konstitution des Klägers für seine beruflichen Tätigkeiten vorliegen, muss der Tatrichter diesen Umstand bei der für den Erwerbsschaden anzustellenden Prognose berücksichtigen. Diese Berücksichtigung kann entweder in Form eines prozentualen Abschlags von den ohne derartige Risiken zu erwartenden Erwerbseinnahmen in Betracht kommen. Auch eine zeitliche Befristung ist denkbar.
b)
Diese Rechtsprechung wurde bei den Instanzgerichten offensichtlich nur vereinzelt aufgegriffen. Sie wurde auch nur auf psychische Erkrankungen angewandt.
2. BGH Beschl. v. 31.5.2016 – VI ZR 305/15
In der Entscheidung v. 31.5.2016 stellt der BGH klar, dass das Risiko einer Vorerkrankung generell zu berücksichtigen ist.
Die Entscheidung erging im Rahmen eines Haftpflichtprozesses. Die Klägerin hatte sich nach der Diagnose eines Cervex-Karzinoms einer Strahlentherapie unterzogen. In der Folgezeit kam es zu Lymphödemen in beiden Beinen, starken Verhärtungen im kleinen Becken, persistierenden Fieberschüben sowie zu einer schweren arteriellen Verschlusserkrankung der Beckenarterien rechts. Im Jahre 2006 erfolgte bei der Klägerin die Implantation eines Stents in der Beckenarterie rechts, im Jahre 2007 eine erneute Implantation zweier Stents. Im Januar 2009 wurde ein extra anatomischer Cross-Over-Byp...