ECB 2010 § 8 Nr. 4a bb
Leitsatz
Der in einer Versicherung für Überschwemmungsschäden enthaltene Ausschluss für Schäden durch Sturmflut in § 8 Nr. 4a) bb) ECB 2010 greift nicht ein, wenn die Schäden nicht unmittelbar durch eine Sturmflut verursacht wurden, sondern sich lediglich als mittelbare Auswirkung darstellen (hier: 16 km entfernt von der Küstenlinie kommt es zu einer Überschwemmung durch zurückgestautes Flusswasser).
BGH, Urt. v. 26.2.2020 – IV ZR 235/19
Sachverhalt
Die Kl. macht gegen die Bekl. Ansprüche aus einer erweiterten Gebäudeversicherung nach Überschwemmung eines Grundstücks geltend. Zwischen den Parteien besteht ein Versicherungsvertrag über zusätzliche Gefahren zur Feuerversicherung. Versichert ist das sogenannte Hafenhaus in R. Das Versicherungsobjekt liegt im Stadthafen von R. direkt an der W., die in die Ostsee mündet. Die Entfernung des Hafenhauses zur Ostsee beträgt etwa 16 km. Dem Vertrag liegen ECB 2010 zugrunde. In § 8 heißt es zu "Überschwemmung, Rückstau" unter anderem:
"1. Versicherte Schäden"
Der VR leistet Entschädigung für versicherte Sachen, die durch Überschwemmung oder Rückstau zerstört oder beschädigt werden oder abhanden kommen.
…
4. Nicht versicherte Schäden
a) Nicht versichert sind ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen Schäden durch
aa) Erdbeben; bb) Sturmflut; cc) Grundwasser, soweit nicht an die Erdoberfläche gedrungen (siehe Nr. 2); dd) Vulkanausbruch; ee) Brand, Blitzschlag, Explosion, Anprall oder Absturz eines Luftfahrzeuges, seiner Teile oder seiner Ladung.“
In der Nacht vom 4. auf den 5.1.2017 zog ein Tiefdruckgebiet aus Skandinavien über die Ostsee hinweg in Richtung Weißrussland. An der Ostseeküste wurden infolge stark auflandigen Windes Wasserstände von bis zu 1,60 Meter über dem mittleren Wasserstand erreicht. Das Wasser der W. konnte infolgedessen nicht regelgerecht abfließen, so dass sich dieses landeinwärts aufstaute, am Standort des Hafenhauses ausuferte und dessen Grundstück überflutete.
Das LG hat der auf Zahlung von 13.504,89 EUR nebst Zinsen gerichteten Klage i.W. stattgegeben. Das OLG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen hat das BG zunächst angenommen, dass der bei dem im Versicherungsobjekt Hafenhaus am 4./5.1.2017 eingetretene Schaden auf einer Überschwemmung i.S.v. § 8 Nr. 1, 2 ECB 2010 beruht, weil durch eine Ausuferung der W. nicht unerhebliche Mengen von Oberflächenwasser ausgeufert sind."
2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Eintrittspflicht der Bekl. nicht durch die Ausschlussklausel für Sturmflut gemäß § 8 Nr. 4a) bb) ECB 2010 ausgeschlossen.
a) Der Begriff der Sturmflut wird in den Versicherungsbedingungen der Bekl. nicht definiert. Maßgebend sind daher die allgemeinen Grundsätze zu deren Auslegung (…) (wird ausgeführt). Bei einer – wie hier in § 8 Nr. 4a) bb) ECB 2010 – vereinbarten Risikoausschlussklausel geht das Interesse des VN in der Regel dahin, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche VN braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (Senat VersR 2019, 542 Rn 26; VersR 2012, 1253 Rn 20).
Von vornherein unerheblich für die Auslegung des Begriffs der Sturmflut an der Ostseeküste sind mithin Klassifizierungen, wie sie in einem durchschnittlichen VN nicht bekannten Einstufungen nach der DIN oder behördlichen Regelungen vorgenommen werden. Ein durchschnittlicher VN wird vielmehr nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als Sturmflut ein durch auflandigen Sturm bewirktes, außergewöhnlich hohes Ansteigen des Wassers an Meeresküsten und in Flussmündungen verstehen (…). Dem entspricht auch das weitgehend im Schrifttum vertretene Verständnis des Begriffs der Sturmflut in der Gebäudeversicherung (vgl. Hoenicke in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess 4. Aufl. 2020 § 4 Rn 230; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 4 VGB 2010 A; …). Ob – wie das BG in Erwägung zieht – zusätzlich zu dem hohen Ansteigen des Wassers an den Meeresküsten und Flussmündungen sowie der Verursachung durch auflandigen Sturm noch als drittes Element eine Mitverursachung durch die Gezeiten hinzukommen muss, kann offenbleiben.
b) Auch wenn man hier – was der Senat für die weitere Prüfung unterstellt – vom Vorliegen einer Sturmflut ausginge, bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg, da das BG rechtsfehlerfrei angenommen hat, die Schäden seien nicht "durch" Sturmflut verursacht. Die Auslegung der Klausel ergibt, dass nur durch Sturmflut verursachte Schäden vom Leistungsausschluss erfasst werden. Der durchschnittliche VN wird zunächst den Wortlaut von § 8 Nr. 4a) bb) ECB 2010 in den Blick nehmen. Die dortige Regelung, dass ohne Rücksicht auf mit...