Die Entscheidung enthält einige treffende und wichtige Aspekte, andererseits aber auch Elemente, die die Rechtsanwender ein wenig ratlos zurücklassen.
Zunächst einmal ist es angesichts der seit Jahren schwelenden Dringlichkeit der Vorlageproblematik nicht nachvollziehbar, dass die Vorlage des OLG Zweibrücken zum Anfragezeitpunkt 30.12.2021, also mehr als 7 Monate nach der Entscheidung des OLG, noch nicht einmal beim BGH anhängig war. Die Stellungnahme des GBA lag im Sommer vor und es ist traurig, dass die vorgelegte Problematik, die so vielen Tatgerichten erhebliche Schwierigkeiten und Arbeitsaufwand bereitet, offenbar in Karlsruhe keinerlei Priorität genießt.
Das OLG Koblenz weist eingangs darauf hin, dass das Begehren um Akteneinsicht von Anfang an und dann in allen Rechtsbehelfen präzise ausgeführt und begründet sein muss. Daran krankt im gerichtlichen Alltag die große Mehrzahl der Anträge: entweder wird schon nicht differenziert, was bereits herausgegeben wurde und was nicht, oder es wird nicht dezidiert für die konkrete Messung begründet, welcher Zusammenhang besteht, oder im Rechtsbehelf wird nur noch pauschal weiter beantragt. All das führt unweigerlich dazu, dass eine Rechtsverletzung nicht erfolgreich gerügt werden kann.
Wenn das OLG dann in der Folge behauptet, die ergangene Rechtsprechung des BVerfG und des VerfGH Koblenz habe das standardisierte Messverfahren faktisch abgeschafft, dann entbehrt das jeglicher Grundlage. Die Verfassungsgerichte haben nur die Einschränkung, die der BGH von Beginn an geschaffen hat ("konkrete Einwendungen sind möglich") auf ein akteneinsichtsrechtliches Fundament gestellt, das die obergerichtliche Rechtsprechung, allen voran die Gerichte in Bayern, in verfassungswidriger Weise mit einem unzulässigen Zirkelschluss früher unterlaufen hatte. Dass die Rechtsprechung nunmehr seit einigen Jahren dem Betroffenen ermöglicht, konkrete Einwendungen überhaupt selbst und auf eigene Kosten zu suchen und zu finden, ist ein echter, aber notwendiger Paradigmenwechsel. Selbst der viel gescholtene saarländische VerfGH hat das standardisierte Messverfahren offiziell nie in Frage gestellt, wenngleich seine Rechtsprechung, die eine Offenlegung der Messung fordert, tatsächlich die Rechtsprechung des BGH auf den Kopf gestellt hätte, da die Rechtsfigur anhand eines Messverfahrens entwickelt worden war, das noch nie Daten gespeichert hatte (LTI). Es ist deshalb der These des OLG Koblenz klar zu widersprechen. Die Fachgerichte können anhand der Kriterien des BVerfG klare Grenzen bei der Akteneinsicht ziehen und diese Grenzziehung kann dann ggf. durch die Obergerichte überprüft werden. Ob sich aus der umfangreichen Akteneinsicht wirklich Messfehler ergeben, steht auf einem ganz anderen Blatt. Meine – natürlich nicht repräsentative – Erfahrung hat dies jedenfalls nicht bestätigen können und das nach tausenden Messverfahren und vielen vergeblichen Privatgutachten zu ES3.0, Poliscan, VKS etc. Und selbst wenn man unterstellen wollte, die Verfassungsgerichte hätten das standardisierte Messverfahren abgeschafft – was sollte dann eine Vorlage zum BGH bringen? Der BGH wird wohl kaum das BVerfG überstimmen wollen.
Sodann befasst sich das OLG Koblenz mit den Folgen der Einsicht in die Messreihe: der Verteidiger könnte Personen wiedererkennen. Nun, das ist im Strafprozess und den dort vorhandenen Beweismitteln keine wirkliche Überraschung. Die Verwertung von "Beifang" ist doch geradezu eine Spezialität der Ermittlungsbehörden. Wie kann dann dem Betroffenen diese Möglichkeit ins Gegenteil verkehrt vorgeworfen werden? Eine Einschränkung auf der Basis einer solchen Argumentation böte tatsächlich eine erhebliche Erschwernis für die Verteidigung und beileibe keine Waffengleichheit mit der Behörde, die das BVerfG aber fordert.
Absurd wird dann aber die Überlegung, der Verteidiger könnte die zusätzlichen Messbilder nutzen, um Mandanten zu gewinnen und am Ende wird auch in Zweifel gestellt, dass Verteidiger mit den überlassenen Daten verantwortungsvoll umgehen. Wie auch immer der Verteidiger an die personalisierten Daten der anderen Fahrzeugführer kommen soll, ist das Geheimnis des OLG; aber was für ein Bild hat der Senat denn von Verteidigern? Die Sichtweise ähnelt leider der verschrobenen Sicht des OLG Frankfurt, die der Verteidigung pauschal vorwirft, dass "Verfahrensrechte bewusst missbraucht werden" und "verfahrensfremde Kostengenerierung" betrieben wird (vgl. zfs 2022, 107). Vielleicht treffen die OLG-Richter einfach nur zu wenig echte Menschen und Anwälte während ihrer Tätigkeit? Denn die Tatrichter sehen das Verhältnis zur Anwaltschaft ziemlich pragmatisch (vgl. AG Solingen, Beschl. v. 29.7.2021 – 23 OWi 163/21 (b): "Vor allem aber ist von einem Verteidiger als Organ der Rechtspflege schon unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu erwarten, dass die ihm übermittelten Daten nicht an Dritte weitergegeben werden und er damit sachgemäß umgeht." – genau so ist es).
Schließlich setzt sich das OLG mit der divergier...