VVG § 28; AUB 2008 Ziff. 5.1.1
Leitsatz
1. Der Risikoausschluss der Unfallverursachung durch eine Geistes- oder Bewusstseinsstörung kann auch eingreifen, wenn der Feststellung der Alkoholisierung nach einem Verkehrsunfall eine Blutalkoholbestimmung zugrunde liegt, die nicht nach standardisierten Regeln erfolgt ist.
2. Die "ins Blaue hinein" erfolgte Angabe einer Betreuerin gegenüber dem VR, die VN sei zum Zeitpunkt des Unfalls nicht alkoholisiert gewesen und es sei auch keine Blutprobe entnommen worden, stellt eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit dar. (Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Saarbrücken, Urt. v. 6.7.2022 – 5 U 92/21
1 Sachverhalt
Die Kl. begehrt von der Bekl. Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung.
In der Nacht auf den 29.12.2012 zu einer nicht sicher feststellbaren Uhrzeit, jedenfalls aber vor 2h50 Uhr, verunfallte die Kl. mit dem Pkw ihres damaligen Lebensgefährten, indem sie auf einer Landstraße in einer Linkskurve von der Fahrbahn abkam, ins Schleudern geriet und mit der Beifahrerseite gegen einen am linken Straßenrand befindlichen einzelnen Baum prallte. Ihr auf dem Beifahrersitz sitzender Lebensgefährte verstarb. Die Kl. erlitt bei dem Unfall multiple, lebensbedrohliche Verletzungen. Die Mutter der Kl. wurde zu ihrer gesetzlichen Betreuerin bestellt. Im Rahmen der notfallmäßigen Aufnahme wurde der Kl. im Klinikum K um 4h30 Uhr eine Blutprobe entnommen und daraus der Ethanolspiegel bestimmt. Ausweislich des Laborberichts des Labors L vom 29.12.2012 betrug dieser 1,4 Promille. Mit Schadensanzeige vom 17.1.2013 zeigte die Mutter der Kl. der Bekl. den Versicherungsfall an. Eine in dem Schadensanzeigeformular enthaltene Frage, ob die verletzte Person in den letzten 24 Stunden vor dem Unfall Alkohol zu sich genommen habe, verneinte sie darin ebenso wie die weitere Frage, ob eine Blutprobe entnommen worden sei.
2 Aus den Gründen:
"…Das LG hat der Klage auf (weitere) Versicherungsleistungen zu Unrecht stattgegeben. Nach dem … zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand kann sich die Bekl. auf den in Ziff. 5.1.1 ihrer Versicherungsbedingungen (AUB 2008) enthaltenen Risikoausschluss berufen, der Unfälle der versicherten Person "durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen", vom Umfang des Versicherungsschutzes ausnimmt und dessen Voraussetzungen hier nachweislich vorgelegen haben. Darüber hinaus ist die Bekl. aber auch wegen einer vorsätzlichen – sogar arglistigen – Verletzung der Aufklärungsobliegenheit anlässlich der Geltendmachung von Ansprüchen durch die als Betreuerin tätige Mutter der Kl. von ihrer Leistungspflicht freigeworden.
1. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf (weitere) Invaliditätsleistung kommt … hier nur der zwischen den Parteien bestehende Unfallversicherungsvertrag … in Betracht, aus dem der Kl., wie zuletzt von den Parteien übereinstimmend vorgetragen wurde, bei Vollinvalidität ein Betrag in Höhe von 485.000,– EUR (= 1000 Prozent der Grundsumme) zzgl. eines Erhöhungsbetrages von weiteren 100.000,– EUR zusteht. Der Eintritt eines Versicherungsfalles – hier: ein Unfall im Sinne von Ziff. 1.3 AUB 2008 – ist unstreitig, ebenso wie – zuletzt – auch die Voraussetzungen, unter denen die Bekl. eine Invaliditätsleistung schuldet (Ziff. 2.1 AUB 2008). Bei der Kl. besteht infolge des Unfalles eine bedingungsgemäße Vollinvalidität, die auch fristgemäß ärztlich festgestellt und bei der Bekl. geltend gemacht worden ist.
2. Soweit das LG die Voraussetzungen des Risikoausschlusses gemäß Ziff. 5.1.1 AUB 2008 verneint, greift die Berufung die diesbezüglichen Feststellungen mit Erfolg an. Wie im Senatstermin eingehend erörtert, hat die Bekl. bei korrekter Würdigung des Ergebnisses der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme und aller weiteren Umstände des vorliegenden Falles den ihr obliegenden Nachweis einer unfallursächlichen Geistes- oder Bewusstseinsstörung erbracht.
[Geistes- bzw. Bewusstseinsstörung]
a) Gemäß Ziff. 5.1.1 AUB 2008 besteht für Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, kein Versicherungsschutz. Eine – vom VR nach Maßgabe des § 286 ZPO zu beweisende – Bewusstseinsstörung im Sinne der Ausschlussklausel liegt vor, wenn der Versicherte alkoholbedingt in seiner Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit in einem solchen Maße beeinträchtigt ist, dass die Gefahrenlage, in die er sich begeben hat, von ihm nicht mehr beherrscht werden kann (BGH VersR 1985, 583; VersR 1990, 1343; …). Das setzt nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraus, es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen (BGH VersR 2008, 1683 …). Ist das der Fall, so ist das gewöhnliche Unfallrisiko in einem Umfang erhöht, dass der Unfallversicherer dafür nicht mehr einzustehen verspricht (…).
aa) Für Fälle der Trunkenheit im Straßenverkehr greift di...