OWiG § 73 Abs. 3
Leitsatz
Eine Vertretung des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Sinne der §§ 73 Abs. 3, 79 Abs. 4 OWiG setzt den Nachweis der Vertretungsvollmacht voraus. Im Falle einer Untervertretung genügt es hierfür nicht, wenn zwar eine vom Wahlverteidiger dem Untervertreter erteilte Vollmacht zu den Akten gelangt ist, aber keine dem Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht nachgewiesen ist.
BayObLG, Beschl. v. 6.12.2022 – 202 ObOWi 1110/22
1 Sachverhalt
Das AG hat gegen den von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen in seiner Abwesenheit, jedoch in Anwesenheit einer vom Verteidiger des Betroffenen unterbevollmächtigten Verteidigerin wegen einer fahrlässig begangenen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h eine Geldbuße von 120 EUR festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Zulassungsrechtsbeschwerde, mit der er zugleich die Wiedereinsetzung in die Versäumung der Wochenfrist für die Einlegung des Rechtsmittels beantragt. Das BayObLG hat festgestellt, dass der Betroffene gegen das Urteil des AG rechtzeitig die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt hat.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die gegen das Urt. v. 21.4.2022 gerichtete Zulassungsrechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt worden, weil bislang eine gemäß §§ 35 Abs. 2 S. 1, 35a, 36 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 und Abs. 4 OWiG gebotene förmliche Urteilszustellung unterblieben und deshalb weder die Frist zur Einlegung noch zur Begründung der Zulassungsrechtsbeschwerde in Gang gesetzt worden ist, weshalb für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mangels Fristversäumung kein Raum besteht. Wie sich aus § 79 Abs. 4 letzter Halbsatz i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG ergibt, beginnt bei einem in Abwesenheit des Betroffenen verkündeten Urteil die Frist zur Anbringung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur dann bereits mit der Verkündung des Urteils zu laufen, wenn der Betroffene bei der Urteilsverkündung von einem nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten worden ist. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Vielmehr handelte es sich um eine Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Betroffenen. Zwar war eine mit vom Wahlverteidiger ausgestellter Untervollmacht versehene Verteidigerin in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsverkündung anwesend. Allerdings genügt dies nicht, weil eine Vollmacht des Verteidigers nicht vorlag.
In Judikatur und Schrifttum ist anerkannt, dass eine der oder dem Unterbevollmächtigten erteilte Vollmacht nicht nachgewiesen sein muss, es vielmehr genügt, dass eine Vertretungsvollmacht durch den Wahlverteidiger im Zeitpunkt der Urteilsverkündung nachgewiesen ist (OLG Bamberg, Beschl. v. 27.4.2007 – 3 Ss OWi 480/07, BeckRS 2007, 8730; OLG Bamberg, Beschl. v. 29.5.2006 – 3 Ss OWi 430/06, NStZ 2007, 180; OLG Bamberg, Beschl. v. 18.4.2011 – 2 Ss OWi 243/11, zfs 2011, 472; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 6.2.2017 – 2 [6] SsRs 723/16, juris; vgl. auch Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 79 Rn 30a; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. § 73 Rn 41; BeckOK-OWiG/Hettenbach [Stand: 1.10.2022 – 36. Edit.] § 73 Rn 21 ff. und Krenberger/Krumm, OWiG 7. Aufl. § 73 Rn 21, jeweils m.w.N.). Dies gilt jedoch nicht im umgekehrten Fall, bei dem es – wie hier – an einem Nachweis einer dem hauptbevollmächtigten Wahlverteidiger erteilten Vertretungsvollmacht fehlt. Denn die genannten Vorschriften sollen gewährleisten, dass die Vertretung des Betroffenen seinem explizit erklärten Willen entspricht und dies dem Gericht auch aus Gründen der Rechtssicherheit nachgewiesen wird. Durch die bloße Erteilung einer Untervollmacht durch den Wahlverteidiger wird dieser Normzweck aber gerade nicht erreicht.
III. Die Feststellung der Wahrung der Rechtsmittelfrist hat entsprechend § 267 Abs. 4 S. 4 StPO zur Folge, dass das Amtsgericht innerhalb der in § 275 Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 4 OWiG vorgesehenen Frist die bislang fehlenden Urteilsgründe noch ergänzen kann. Denn die Interessenlage entspricht in diesen Fällen derjenigen im Falle der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die nachträgliche Feststellung, dass ein solcher Fall nicht vorlag, macht es demgemäß erforderlich, das weitere Verfahren entsprechend § 267 Abs. 4 S. 4 StPO zu gestalten. Insoweit besteht eine Regelungslücke im Gesetz, die durch analoge Anwendung des § 267 Abs. 4 S. 4 StPO zu schließen ist (BGH, Beschl. v. 4.10.2017 – 3 StR 397/17, BeckRS 2017, 131903). Die Frist für die Ergänzung der Urteilsgründe beginnt, sobald die Akten nach der Feststellung des Nichtvorliegens eines die Abfassung eines abgekürzten Urteils nach § 77b OWiG rechtfertigenden Grundes gemäß § 267 Abs. 4 S. 1 StPO bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht eingehen (vgl. neben BGH a.a.O. auch BayObLG, Beschl. v. 23.7.2020 – 201 ObOWi 881/20, BeckRS 2020, 28926).
3 Anmerkung:
Erstaunlich an dieser Fallkonstellation ist, dass "eine Vollmacht des Verteidigers nicht vorlag". Denn zugleich wird mitgeteilt, dass der Betroff...