StGB § 316
Leitsatz
1. Die Behauptung, der Tatrichter habe pflichtwidrig davon abgesehen, einen Sachverständigen mit einer Begleitstoffanalyse zur Überprüfung des Nachtrunks zu beauftragen, kann nicht mit der Sachrüge geltend gemacht werden.
2. Angesichts der in der Anflutungsphase verstärkten Ausfallerscheinungen bedarf es einer Rückrechnung nicht, wenn bei der Blutentnahme wenigstens der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille BAK erreicht ist. Dann steht fest, dass eine entsprechende Körperalkoholmenge zur Tatzeit vorgelegen haben muss. (Leitsatz der Redaktion)
OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.11.2023 – 3 ORs 26/23
1 Sachverhalt
Das AG hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt, seine Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von vier Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Urteil wurde am Tag der Hauptverhandlung am 15.5.2023 verkündet. Die Entscheidungsgründe des Urteils gelangten am 6.7.2023 zur Geschäftsstelle. In den Akten befindet sich ein Vermerk vom 6.7.2023 des Tatrichters, wonach der Erste Justizhauptwachtmeister der vom Tatrichter verfügten Frist zur Vorlage des Hauptverhandlungsprotokolls, nämlich zwei Wochen nach der Hauptverhandlung, erst am 6.7.2023 nachkommen konnte, weil der Justizhauptwachtmeister wegen hoher Arbeitsbelastung zeitweise einem anderen AG zugeordnet gewesen sei. Deshalb sei vom zuständigen Richter das vom Angeklagten am 17.5.2023 eingelegte Rechtsmittel übersehen und die Absetzung des Urteils erst am 6.7.2023 unverzüglich nachgeholt worden. Das OLG Frankfurt hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des AG als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die statthafte (§ 335 StPO) sowie form- und fristgerecht gem. § 341 StPO eingelegte und nach wirksamer Zustellung des Urteils am 11.7.2023 mit den Schriftsätzen vom 13.7.2023 und 14.7.2023 gem. § 345 StPO begründete Revision ist zulässig, deckt aber keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO i.V.m. § 338 Nr. 7 StPO ist nicht den Förmlichkeiten des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend ausgeführt.
a) In der Revisionsbegründung sind alle Tatsachen vollständig vorzutragen, welche für die Prüfung erforderlich sind, ob das Urteil innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden ist (BGH, Urt. v. 6.2.1980 – 2 StR 729/79, BGHSt 29, 203 f. = NJW 1980, 1292; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 31.3.2014 – Ss (B) 18/2014 (15/14 OWi), NJOZ 2014, 1545, 1546). Im Regelfall genügt die Mitteilung des Tags der Urteilsverkündung, der Zahl der Hauptverhandlungstage und des Datums des auf dem Urteil angebrachten Eingangsstempels (BGH, Beschl. v. 22.1.2019 – 2 StR 413/18, StV 2019, 820, 821 Tz. 3; BayObLG, Beschl. v. 16.5.2022 – 201 ObOWi 483/22, BeckRS 2022, 11544 Rn 4; OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.1.2000 – 1 Ss 11/00, juris Rn 4; MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, 2019, § 338 Rn 177; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn 98).
Liegen jedoch Anhaltspunkte dafür vor, dass die Überschreitung der vorgenannten Frist durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren und unabwendbaren Umstand bedingt war (§ 275 Abs. S. 4 StPO), muss die Revision auch diese besonderen Umstände mit Tatsachen unterlegt darlegen, z.B. überraschendes Versterben, Krankschreibungen, Urlaubszeiten des Tatrichters bzw. des Berichterstatters oder lebensgefährliche Erkrankungen von deren nahen Angehörigen (BayObLG, Beschl. v. 16.5.2022 – 201 ObOWi 483/22, BeckRS 2022, 11544 Rn 4; KK-StPO/Gericke, § 338 Rn 98). Eine Verfahrensrüge ist deshalb unzulässig, wenn es die Revisionsbegründung versäumt, über einen entsprechenden Vermerk des Tatrichters zu informieren (BGH, Beschl. v. 24.11.2006 – 1 StR 558/06, NStZ-RR 2007, 88).
b) So liegt es hier. In der Revisionsbegründung wird der Vermerk des Tatrichters vom 6.7.2023, welcher tatsächliche Hintergründe für das Überschreiten der Frist nach § 275 Abs. 1 S. 2 StPO beschreibt, nicht wiedergeben. Das Revisionsgericht ist daher außer Stande, allein an Hand der Revisionsbegründung zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 S. 4 StPO für eine Fristüberschreitung ausnahmsweise erfüllt waren. Ob der Inhalt des Vermerks die Fristüberschreitung tatsächlich rechtfertigt, ist für ihre Begründetheit relevant. Es ist aber durch das Gesetz (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO) gerade dem Beschwerdeführer aufgegeben, die für den Verfahrensverstoß relevanten Tatsachen in der Revisionsbegründung so vollständig vorzutragen, dass das Revisionsgericht ohne Bezugnahme auf den Akteninhalt in der Lage ist, den Sachverhalt zu bewerten. Ihm war es ohne weiteres möglich, sich durch Akteneinsicht Kenntnis von dem Vermerk und somit der für die Beurteilung der gerügten Verletzung des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO relevanten Tatsachen zu verschaffen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.7.2007 – 1 StR 317/07, BeckRS 2007, 12146 Rn 2; B...