In einer so kurzen Entscheidung des BGH – die Entscheidung über den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes umfasst nur einen Satz im Umfang von nicht einmal 3 Zeilen – sollte eigentlich kein Fehler auftreten. So kann man sich täuschen!
Anwendbare Wertvorschrift
Leider hat hier der Einzelrichter des VII. ZS des BGH für seine Entscheidung über den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes für das Rechtsbeschwerdeverfahren die falsche Wertvorschrift herangezogen. Für die Festsetzung des Gegenstandswertes in Beschwerdeverfahren, zu denen auch das Rechtsbeschwerdeverfahren gehört, ist nämlich auch in Zwangsvollstreckungssachen die allgemeine Wertvorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 1 RVG heranzuziehen, wenn – wie hier – die anfallenden Gerichtsgebühren sich nicht nach dem Streitwert richten. In einem solchen Fall ist vielmehr der Gegenstandswert unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu bestimmen, soweit sich aus dem RVG nichts anderes ergibt, was hier nicht der Fall ist (s. hierzu Volpert in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts 2004, Teil 18 Rn 90; N. Schneider in Hansens/Braun/Schneider, a.a.O., Teil 8 Rn 586; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 26. Aufl. 2023, § 25 RVG Rn 52; AnwKomm-RVG/Volpert, 9. Aufl. 2021, § 25 RVG Rn 93 ff.).
Bestimmung des Gegenstandswertes nach billigem Ermessen
Somit bestimmt sich der Gegenstandswert in Beschwerdeverfahren auch in Zwangsvollstreckungssachen nach billigem Ermessen. Damit ist für Beschwerden in Zwangsvollstreckungssachen der Gegenstandswert nicht – wie es hier der Einzelrichter des VII. ZS des BGH getan hat – § 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG einschlägig, wonach sich der Gegenstandswert nach dem Betrag der zu vollstreckenden Geldforderung einschließlich der Nebenforderungen bestimmt. § 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG hat für die Festsetzung des Gegenstandswertes in Beschwerdeverfahren nur insoweit Bedeutung, als nach § 23 Abs. 2 Satz 2 RVG der Gegenstandswert in Beschwerdeverfahren durch den Wert des zugrunde liegenden Verfahrens begrenzt ist. Der nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG nach dem Betrag der zu vollstreckenden Geldforderung einschließlich der Nebenforderungen zu bestimmende Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren stellt also für den Wert im Beschwerdeverfahren lediglich die Obergrenze dar.
Das Interesse der Schuldnerin
Der Einzelrichter des VII. ZS des BGH hätte deshalb für die Bemessung des Gegenstandswertes das Interesse der Schuldnerin an der von ihr begehrten Aufhebung des Beschlusses des LG Bochum berücksichtigen müssen. Bei diesem Beschwerdeverfahren ging es lediglich um die formalen Anforderungen für den Antrag der Gläubigerin auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses und nicht etwa um die Hauptforderung in Höhe von 34,60 EUR nebst den Nebenforderungen in nicht näher aufgeschlüsselter Höhe. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass sich bei richtiger Gesetzesanwendung ein anderer Gegenstandswert ergeben hätte, der unterhalb des tatsächlich festgesetzten Wertes von 507,25 EUR gelegen hat.
Praktische Auswirkungen
Die praktischen Auswirkungen der unrichtigen Rechtsanwendung des Einzelrichters des BGH waren hier zwar überschaubar. Es ist jedoch bemerkenswert, wenn ein Mitglied eines Bundesgerichts für die Festsetzung des Gegenstandswertes eine nicht einschlägige Gesetzesvorschrift heranzieht. Ein kurzer Blick ins Gesetz und ggf. ergänzend in einen Kommentar hätte dabei schnell zur Anwendung der richtigen Wertvorschrift geführt. Gegen die Entscheidung des – Einzelrichters- des BGH über den Wertfestsetzungsantrag ist ein ordentlicher Rechtsbehelf gesetzlich nicht vorgesehen. Gem. § 33 Abs. 4 S. 3 RVG findet nämlich eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes nicht statt. Der Antragsteller könnte jedoch gegen eine ihm nachteilige Entscheidung den außergesetzlichen Rechtsbehelf der Gegenvorstellung erheben, über den dann erneut der Einzelrichter des BGH zu befinden hat (s. hierzu Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 567 Rn 23 ff.). Macht der Antragsteller im Rahmen seiner Gegenvorstellung darauf aufmerksam, dass der Einzelrichter die falsche Wertvorschrift angewandt hat, wird dieser denselben Fehler wohl kaum ein zweites Mal begehen. Das setzt allerdings voraus, dass der Rechtsanwalt seinerseits erkannt hat, dass der Richter die falsche Wertvorschrift angewandt hat.
Die Heranziehung einer unzutreffenden Gesetzesvorschrift bei der Entscheidung über einen Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes ist beim BGH leider kein Einzelfall. Im Beschluss v. 9.12.2022, AGS 2023, 88 (Hansens) hatte die Berichterstatterin des I. ZS des BGH die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf § 25 Ab. 1 Nr. 3 RVG gestützt, anstatt die richtige Wertvorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG anzuwenden. In jenem Fall war ebenfalls nicht auszuschließen, dass bei richtiger Gesetzesanwendung ein anderer Wert festgesetzt worden wäre.
VorsRiLG a. D. Heinz Hansens, Berlin
zfs 5/2024...