Eine wichtige Fallgruppe für die Leistungsfreiheit des Kasko – VR stellen die Fälle dar, in denen der Versicherungsnehmer einen Vorschaden bei der Schadensanzeige nicht angibt.
1. Obliegenheitsverletzung durch falsche Angaben zu einem Vorschaden
Verschweigt der Versicherungsnehmer (im folgenden VN) einen ihm bekannten Vorschaden an dem versicherten Fahrzeug gegenüber dem VR, liegt hierin i.d.R. eine objektive Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles. Bereits bei Lackkratzern, die Reparaturarbeiten in Höhe von 250 EUR erfordern, liegt insoweit ein offenbarungspflichtiger Schaden vor, der eine Obliegenheitsverletzung begründen kann. Verschweigt der VN diesen Vorschaden, verstößt er gegen seine Obliegenheit aus Abschnitt E 1.3 AKB 2008, dem VR gegenüber wahrheitsgemäß alle Fragen zu beantworten, die für die Aufklärung des Schadensereignisses von Bedeutung sind.
Eine Obliegenheitsverletzung in Form des Verschweigens von Vorschäden erfordert aber zudem, dass dem VR der Vorschaden bekannt ist. Ein bloßes Kennenmüssen genügt nicht. Diese Kenntnis gehört (auch nach dem "neuen" VVG) zum objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung und ist durch den VR zu beweisen.
Beispielsfall
Der VR erfährt nach dem gemeldeten Versicherungsfall, dass der VN in der Schadensanzeige einen 5 Jahre zurückliegenden erheblichen Vorschaden nicht angegeben hat. Der VR muss aber den Beweis dafür führen, dass der VN diesen Vorschaden auch gekannt hat. Dies kann in den Fällen problematisch sein, in denen der VN den Wagen erst nach dem Eintritt des Vorschadens erworben hat. Im Rahmen seiner Auskunftsobliegenheit wird der VN jedoch dem VR auch den Kaufvertrag über den Erwerb des vorgeschädigten Fahrzeugs vorlegen müssen, aus dem sich im Zweifel ergibt, ob der Vorschaden dem VN bei Erwerb angezeigt worden ist.
2. Der Kausalitätsgegenbeweis durch den VN
Steht fest, dass der VN einen ihm bekannten erheblichen Vorschaden verschwiegen hat, dürfte es zugleich naheliegen, dass er diese Anzeige vorsätzlich i.S.d. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG unterlassen hat. Zumindest dürfte von einem grob fahrlässigen Verschweigen auszugehen sein, wobei die grobe Fahrlässigkeit nach der gesetzlichen Wertung des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG vermutet wird und der VN sich von dieser Vermutung zu entlasten hat.
Der VN kann jedoch den sog. Kausalitätsgegenbeweis führen. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG sieht vor, dass der VR zur Leistung verpflichtet bleibt, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich ist. Dies hat der VN zu beweisen und alle Einwendungen des VR zu entkräften. Zum neuen VVG haben sich im Hinblick auf die einzelnen Voraussetzungen zu dem Kausalitätsgegenbeweis in der Literatur zwei Auffassungen herausgebildet, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können:
a) Nach einer Auffassung ist die sog. Relevanzrechtsprechung des BGH fortzuführen. Hiernach genügt es, wenn die Falschangabe des VN geeignet ist, das berechtigte Aufklärungsinteresse des VR zu gefährden, wobei im Anwendungsbereich des neuen VVG teilweise eine abstrakte Gefährdung für ausreichend erachtet oder eine konkrete Gefährdung als Diskussionsgrundlage angeführt wird. Zur Begründung wird auf eine Passage aus dem Regierungsentwurf abgestellt, die wie folgt lautet:
Zitat
"In Anlehnung an die sog. Relevanzrechtsprechung des BGH legt Absatz 3 Satz 1 für die Leistungsfreiheit nach Absatz 2 ein Kausalitätserfordernis fest."
b) Nach anderer Ansicht ist jeweils konkret zu prüfen, ob und in welchem Umfang sich die falsche Angabe auf die Feststellungen des VR ausgewirkt hat. Auch insoweit wird auf die Gesetzesbegründung abgestellt. In dem oben zitierten Absatz aus der Gesetzesbegründung findet sich – wenn diese weiter gelesen wird – folgender abschließender Hinweis:
Zitat
"Daher soll auch die bisherige Beschränkung des Kausalitätserfordernisses nach § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG auf grob fahrlässige Verletzungen nach Eintritt des Versicherungsfalles entfallen."
Im Bereich des § 6 Abs. 3 S. 2 VVG a.F. hatte jedoch die allein für vorsätzliche und folgenlose Obliegenheitsverletzungen entwickelte Relevanzrechtsprechung keine Bedeutung und es kam auf einen konkreten Kausalzusammenhang an, den der VN bei einem lediglich grob fahrlässigen Fehlverhalten widerlegen konnte.