Eine weitere in der Praxis (sowohl für Kasko- als auch Haftpflichtfälle) vorkommende Obliegenheitsverletzung ist die Angabe eines in dieser Art und Weise nicht zutreffenden Schadensherganges. Auch ein derartiger falscher Vortrag begründet eine Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls.
1. Vorsatz und grob fahrlässige Falschauskunft des VN
Beruft sich der VR darauf, dass der VN bewusst eine falsche Angabe zum Hergang getätigt hat, greift zugunsten des VR nicht mehr (wie im alten Recht) die Vorsatzvermutung ein und er hat den behaupteten Vorsatz des VN zu beweisen. Ansonsten ist von einer grob fahrlässigen Falschangabe des VN auszugehen und er hat sich von dieser Vermutung zu entlasten. Es ist dann jeweils eine genaue Prüfung des Einzelfalls geboten. Ergibt beispielsweise ein unabhängiges Gutachten, dass der VN entgegen seiner Behauptung doch rückwärts gefahren ist und nicht bereits den behaupteten längeren Zeitraum vor einem angeblichen Auffahrunfall stand, dürfte eine vorsätzliche Falschauskunft des VN naheliegen. Hat der VN dagegen lediglich behauptet, er wäre nur einen kurzen Augenblick vor der Kollision zum Stehen gekommen, dürfte diese Fehleinschätzung des konkreten Unfallablaufs bzgl. einzelner Sekundenabschnitte verzeihlich sein und auch keine grob fahrlässige Falschangabe vorliegen.
2. Kausalitätsgegenbeweis und Arglist
Auch hier ist eine genaue Prüfung des Einzelfalls geboten. Insbesondere in der Kraftfahrtversicherung wird zu unterscheiden sein: Wird der VR durch die Falschangabe des VN zur Aufnahme eines Prozesses veranlasst und stellt sich im Prozess heraus, dass eine (bewusste) Falschangabe des VN vorliegt, hat sich die Falschauskunft des VN bereits konkret in der Form ausgewirkt, dass bei wahrheitsgemäßer Auskunft kein Prozess aufgenommen und die dadurch verursachten Kosten erspart worden wären. Stellt sich bereits bei der außergerichtlichen Regulierung durch den VN heraus, dass die Unfallversion des VN nicht stimmt und reguliert der VR sodann aus seiner Sicht angemessen, hat sich die Falschauskunft auf die Regulierungsentscheidung im Ergebnis nicht ausgewirkt. Im Fall einer arglistigen Falschauskunft wäre aber auch in diesem Fall dem VN der Kausalitätsgegenbeweis verwehrt und der VR könnte im Rahmen der Höchstgrenzen des § 6 KfzPflVV regressieren. Im Übrigen hätte sich die Falschauskunft auch konkret ausgewirkt, wenn dem VR Aufwendungen bei der Einholung eines Gutachtens entstanden sind, mit dem erst der zutreffende Sachverhalt ermittelt werden konnte.
3. Belehrungserfordernis
In diesen Fällen ist jedoch immer gesondert zu prüfen, ob der VR eine dem Erfordernis des § 28 Abs. 4 VVG entsprechende Belehrung erteilt hat. Liegen lediglich mündliche Auskünfte des VN in einem Telefonat oder eine ergänzende Angabe gegenüber dem vom VR beauftragten Sachverständigen vor, kann es an einer solchen Belehrung fehlen. Zu beachten ist aber auch, dass dem VN i.d.R. ein Schadensanzeigeformular zugesandt worden sein wird, in welchem sich eine umfassende Belehrung befindet. Diese wirkt i.d.R. für einen längeren Zeitraum fort, so dass der VR nicht bei jeder sich anschließenden Befragung eine gesonderte Belehrung erteilen muss.
4. Auswirkung für die Praxis
Hierzu ein Beispielsfall:
Der VN behauptet in seiner Schadensanzeige zu einem Haftpflichtfall, er wäre auf seiner Fahrbahnhälfte um die Kurve gefahren und der Unfallgegner wäre über die Mittellinie auf die Gegenfahrbahn geraten und hätte dadurch den Unfall verursacht. Auf telefonische Nachfrage des VR konkretisiert er diese Angabe dahingehend, er wäre direkt am rechten Fahrbahnrand gefahren. Der Unfallgegner behauptet genau das Gegenteil. Der VR nimmt den Prozess als Haftpflichtversicherer auf. Im Gerichtsverfahren stellt sich heraus, dass aus technischer Sicht davon auszugehen ist, dass der VN mindestens 50 cm auf die Gegenfahrbahn geraten ist.
Der VN hat sowohl in der Schadensanzeige wie auch auf telefonische Nachfrage falsche Angaben zum Schadenshergang getätigt, die bei dem VR zu einer Prozessaufnahme und damit erheblichen Mehraufwendungen geführt haben. Ohne die konkrete Nachfrage seitens des VR wäre es allerdings fraglich, ob dem VN bei seinen pauschalen Ausführungen eine vorsätzlich falsche Angabe nachgewiesen werden kann. In der ergänzenden Angabe des VN auf die telefonische Nachfrage des VN wird nun aber ein dermaßen abweichender Unfallablauf dargelegt, dass nicht nur eine vorsätzliche, sondern sogar arglistige Falschangabe naheliegt. Es stellt sich dann jedoch die Frage, ob dieser Falschauskunft eine ausreichende Belehrung i.S.d. § 28 Abs. 4 VVG vorausgegangen ist. Hierbei dürfte es zum einen auf den zeitlichen Abstand zu der vorausgegangenen Schadensanzeige, zum anderen auf die konkrete Situation bei der telefonischen Nachfrage ankommen. Sollte...