In der Kraftfahrtversicherung kommt es auch häufiger vor, dass der VN eine Schadensanzeige zumindest nicht innerhalb der in den AKB vorgesehenen Frist von einer Woche oder gar überhaupt nicht einreicht. Auch dies stellt eine Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls dar, die den VR zu einem Regress berechtigen kann.
1. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit
Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der VN i.d.R. nicht bewusst seinen Versicherungsschutz gefährdet und hat daher in diesen Fällen bereits nach altem Recht die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG nicht eingreifen lassen. Zu Gunsten des VR kann jedoch von einem vorsätzlichen Unterlassen der Schadensanzeige ausgegangen werden, wenn der VN trotz mehrfacher Aufforderung die ihm zugesendeten Schadensanzeigeformulare nicht ausfüllt und zurücksendet. Eine vorsätzliche Nichtanzeige liegt auch vor, wenn der VN die Anzeige nur deshalb unterlässt, weil er davon ausgeht, dass aus rechtlichen Gründen kein Anspruch gegen ihn besteht und sich sodann bewusst über seine Anzeigepflicht hinwegsetzt. Es liegt dann bei dem VN im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, den Grund für die Obliegenheitsverletzung plausibel zu erklären. Im Übrigen muss sich der VN zumindest von seiner vermuteten groben Fahrlässigkeit exkulpieren, wobei die Rechtsprechung davon ausgeht, dass es dem VN unschwer möglich gewesen wäre, seine diesbezügliche Obliegenheit durch einen Blick in die AKB zu erkennen, so dass ein Unterlassen dieser Einsicht i.d.R. als grob fahrlässig anzusehen ist.
2. Kausalitätsgegenbeweis und Arglist
Dem VN dürfte es aber im Bereich der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung häufig möglich sein, den Kausalitätsgegenbeweis zu führen, es sei denn, man lässt die bloß abstrakte Gefährdung des Aufklärungsinteresses des VR im Rahmen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG genügen. Der VR wird, wenn keine rechtzeitige Stellungnahme des VN vorliegt, im Rahmen des ihm zustehenden Regulierungsermessens und der ihm in der Rechtsprechung eingeräumten Prüfungsfrist von 4–6 Wochen gut vertretbar den vom Unfallgegner geschilderten Sachverhalt seiner Regulierung zugrunde legen können, wenn der eigene VN trotz mehrfacher Aufforderung keine Angaben tätigt. Zwingend ist eine solche "frühe" Regulierung jedoch nicht. Spätestens wenn der VR Einsicht in die amtliche Ermittlungsakte erhält, dürfte er i.d.R. über ausreichende Erkenntnisse verfügen, um den Verkehrsunfall einer vertretbaren Regulierung zuführen zu können. Insoweit unterscheiden sich die Fälle aus der Kraftfahrthaftpflichtversicherung, bei der i.d.R. der Unfallgegner zeitnah einen Ersatzanspruch anmeldet und z.B. der Fall einer verspäteten Anzeige im Bereich der Unfallversicherung, bei welcher der VR, wenn z.B. der Unfall erst nach einem Jahr angezeigt wird, notwendige Ermittlungen nicht mehr tätigen und der VN den Kausalitätsgegenbeweis nicht erfolgreich führen kann. Letztere Erwägungen dürften auch im Bereich der Kaskoversicherung gelten, wenn der VN den Unfall nicht polizeilich aufnehmen lässt und die Anzeige so spät erfolgt, dass eigene Erfolg versprechende Ermittlungen des VR vereitelt werden.
3. Auswirkung für die Praxis
Auch hierzu ein Beispielsfall:
Der VN reicht trotz mehrfacher Aufforderung durch den VR keine Schadensanzeige ein und verteidigt sich später damit, dass er davon ausgegangen wäre, der Anspruch wäre unbegründet. Der VR nimmt Einsicht in die amtliche Ermittlungsakte und fordert den VN danach zu einer abschließenden Stellungnahme auf. Der Unfallgegner erhebt aber, inzwischen zwei Monate nach dem Unfall, Klage und der VR gleicht die Forderung des Unfallgegners sodann aus.
Der VN hat mit der unterlassenen Schadensanzeige und den nicht erfolgten näheren Angaben zum Unfallhergang jeweils eine Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls begangen. Zumindest das Unterlassen von Angaben trotz mehrfacher Aufforderung durch den VR dürfte als vorsätzliche Obliegenheitsverletzung zu bewerten sein, zumal der VN sich letztendlich bewusst über seine Anzeigepflicht hinweggesetzt hat, weil er (fehlerhaft) davon ausging, er würde nicht haften. Wer eine generelle Eignung der Obliegenheitsverletzung, das Aufklärungsinteresse des VR zu gefährden, ausreichen lässt, kommt zu dem Ergebnis, dass der VN den Kausalitätsgegenbeweis nicht führen kann. Wer dagegen auf die konkreten Auswirkungen der unterlassenen Schadensanzeige und fehlenden Auskünfte abstellt, gelangt zu dem Ergebnis, dass sich diese lediglich in Höhe der Mehraufwendungen des VR, bedingt durch die Prozessaufnahme, ausgewirkt haben. In dieser Höhe dürfte dem VR aber ein Regress im Rahmen der Höchstgrenzen des § 6 KfzpflVV möglich sein.