StVG § 3 Abs. 1; FeV §§ 11 Abs. 3, Abs. 8, 46 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5; LVwVfG § 48 Abs. 1; BRAO § 48
1. Das Auswechseln der Begründung für die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist nicht zulässig.
2. Steht die Anordnung eines Gutachtens (hier: auf Grund zahlreicher strafrechtlicher Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis) im Widerspruch zu früheren Verlautbarungen der Behörde (hier: Bestätigung der Berechtigung zum Gebrauch einer EU-Fahrerlaubnis im Inland), bedarf diese Anordnung einer näheren Begründung. Andernfalls bestehen nachvollziehbare Gründe für die Nichtbeibringung des Gutachtens mit der Folge, dass die Fahrerlaubnisbehörde nicht nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ohne weiteres von der Nichteignung des Betroffenen ausgehen darf.
3. Die Rücknahme einer rechtswidrigen Entziehungsverfügung steht auch dann im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde, wenn auf Grund neuer Eignungszweifel ein weiteres Entziehungsverfahren eingeleitet werden muss.
VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 23.2.2010 – 10 S 221/09
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer Verfügung, mit der ihm eine niederländische Fahrerlaubnis für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland entzogen wurde.
Aus den Gründen:
“… Der Kläger ist trotz der im Berufungsverfahren mitgeteilten Mandatsniederlegung nach wie vor durch seinen beigeordneten Rechtsanwalt S. vertreten i.S.d. § 67 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 VwGO. Der Beiordnungsbeschl. v. 2.12.2008 hat seine Wirksamkeit durch die Mandatsniederlegung nicht verloren. Die Anwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO steht einer Mandatsniederlegung durch einseitige Erklärung entgegen. Der beigeordnete Rechtsanwalt ist vielmehr darauf verwiesen, gem. § 48 Abs. 2 BRAO die Aufhebung der Beiordnung zu beantragen. Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht geschehen und würde zudem wichtige Gründe voraussetzen. Bis zu seiner Entpflichtung bleibt der beigeordnete Rechtsanwalt nach § 48 Abs. 1 BRAO zur Vertretung des Beteiligten verpflichtet (BVerwG, Beschl. v. 10.4.2006 – 5 B 87/05 – juris; OLG Celle, Beschl. v. 5.2.2007 – 6 W2/07 – juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.11.2006 – juris).
Die Berufung des Klägers ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. (Anm. Schriftl. Tenor: ‘… Die Verfügung des Landratsamts K. vom 30.7.2007 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums K. vom 16.10.2007 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Aufhebung der Entziehungsverfügung des Landratsamts K. vom 13.10.2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden …’.)
Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte über seinen Antrag auf Aufhebung der Entziehungsverfügung vom 13.10.2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung des VGH erneut entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die den Antrag ablehnende Verfügung des Landratsamts K. und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums K. sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verfügung vom 13.10.2005, weil die Aufhebung der Entziehungsverfügung im Ermessen der Behörde steht und sich das Ermessen nicht so weit verdichtet hat, dass die Aufhebung der Verfügung die einzig rechtmäßige Entscheidung ist (sog. Ermessensreduzierung auf null).
Die Berufung ist zulässig. Dem Kläger ist im Hinblick auf die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden. Der Kläger hat innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 VwGO einen Sachantrag gestellt und zur Begründung der Berufung zulässigerweise auf seine Ausführungen im Verfahren auf Zulassung der Berufung verwiesen.
Der Antrag des Klägers, die Verfügung vom 13.10.2005 aufzuheben, ist sachdienlich dahingehend auszulegen, dass er die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verfügung vom 13.10.2005 begehrt (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO i.V.m. § 125 VwGO). Hierin ist als Minus ohne weiteres der Antrag auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts enthalten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO). Ein Aufhebungsantrag wäre hingegen nur im Rahmen einer Anfechtungsklage sachdienlich (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); die Erhebung einer Anfechtungsklage ist aber auf Grund der Bestandskraft der Verfügung vom 13.10.2005 unzulässig.
Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der anwaltlich vertretene Kläger keinen Antrag auf ein förmliches Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1–Abs. 4 LVwVfG gestellt (Wiederaufgreifen im engeren Sinne). Er hat bei der Behörde, vor dem VG und im Berufungsverfahren ausdrücklich die Aufhebung der Verfügung vom 13.10.2005 mit der Begründung beantragt, diese sei rechtswidrig. Der Kläger hat sich auch im Klage- und im Berufungsverfahren nicht auf die Vorschrift des § 51 LVwVfG berufen.
Den Antrag des Klägers als Wiederaufgreifensantrag im engeren Sinne auszulegen, wäre auch nicht sachdienlich, weil ein Wieder...