Es gibt selten eine rechtliche Problematik, die in der juristischen Praxis derart unklar ist und zu kaum vorhersehbaren Ergebnissen führt wie der EU-Führerschein. Ursache dafür ist, dass aus traditionell nationalstaatlichem Gerechtigkeitsdenken und höchster europarechtlicher Rechtsprechung eine kaum überbrückbare Dissonanz besteht.

Um was geht es? Menschen mit Lebensmittelpunkt und Wohnsitz in Deutschland haben, zum Teil vor etlichen Jahren schon, wegen Alkohol- oder Drogenkonsum, ihre Fahrerlaubnis straf- oder verwaltungsrechtlich entzogen bekommen. Die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis nach Ablauf der Sperrfrist wird mit einer positiven MPU-Auflage verbunden. Diese kann der Führerscheinbewerber aus den unterschiedlichsten Gründen jedoch nicht beibringen. Da es derartige MPU-Auflagen so nur in Deutschland gibt, "verschafft" er sich dann im EU-Ausland, selbstverständlich nach dortigem Recht legal, einen Führerschein. Kehrte er zurück nach Deutschland und wurde im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehalten, gab es sofort ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Dieser Praxis erteilte der EuGH jedoch schon 2004 im Verfahren C-476/01 (Kapper) eine deutliche Absage. In dieser Entscheidung und allen folgenden formulierte der EuGH unablässig, dass Führerscheine anderer EU-Staaten ohne wenn und aber anzuerkennen seien. Etliche Polizeibehörden leiteten mit Billigung örtlicher Amtsrichter gleichwohl Strafverfahren ein, in deren Verlauf, aus deutscher Sicht natürlich, die Ausstellerkriterien überprüft wurden. Andere akzeptierten zähneknirschend die fehlende Strafbarkeit, erließen aber Verwaltungsakte mit Sofortvollzug dergestalt, dass der Inlandsgebrauch der ausländischen Fahrerlaubnis untersagt wurde, weil der Erwerb der ausländischen Fahrerlaubnis ein "Missbrauch" von EU-Recht sei. Auch dem ist der EuGH etwa in der Entscheidung C-227/05 (Halbritter) und C-340/05 (Kremer) entgegengetreten. Dennoch gab es für die EU-Führerscheininhaber keinen wirklich helfenden Rechtsschutz, da nahezu alle Oberverwaltungsgerichte beseelt von der nationalen Sichtweise, Drogensüchtige und Trunkenbolde von deutschen Straßen fern zu halten, Eilanträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen den Sofortvollzug selbst dann ablehnten, wenn der Führerscheininhaber inzwischen mehrere Jahre unauffällig am Straßenverkehr teilgenommen hatte.

Die Büchse der Pandora öffnete der EuGH dann endgültig mit den Urteilen vom 26.6.2008 (C-343/06; C-336/06; C-329/06). Zwar betonte der EuGH die gegenseitige Anerkennungspflicht und verwies darauf, dass dies aus der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit folge. Ob eine Niederlassung im ausstellenden EU-Staat wirklich vorgelegen habe, dürfe der Inlandsstaat nur anhand des im EU-Führerschein eingetragenen Wohnsitzes oder – in der Praxis weniger bedeutsam – vom Ausstellerstaat herrührender unbestreitbarer Informationen, überprüfen. Daraus folgerten Polizei und Staatsanwaltschaften, dass ausländische EU-Führerscheine mit aufgedrucktem deutschem Wohnsitz per se nichtig seien.

Die Folge: plötzlich sah sich die verkehrsrechtlich unbescholtene Krankenschwester, die nach ihrer Ausbildung für ein Jahr in einem schwedischen Krankenhaus arbeitete und dort ihren Führerschein unter Beibehaltung ihres deutschen Wohnsitzes erwarb, hier einem Strafverfahren wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis ausgesetzt. Andere ließen sich im Ausstellerstaat einen dortigen Wohnsitz in ihre Fahrerlaubnis eintragen. Weil dieser Eintrag allerdings zeitlich nach Erteilung der ursprünglichen ausländischen Fahrerlaubnis erfolgte, nützte das im Inland wenig. Erfolg hatte dies nur, wenn der ausländische Führerschein um eine Klasse erweitert wurde, weil dann eine neue Eignungsprüfung durch die ausländische Fahrerlaubnisbehörde unterstellt werden konnte. Die Umsetzung der 3. Führerscheinrichtlinie zum 19.1.2009 brachte noch mehr Unsicherheit in die nationale Rechtsprechung ein, weil die Behandlung der Altfälle unklar ist. Denn Art. 13 RL 2006/126 EG ordnet an, dass Führerscheine, die vor dem 19.1.2013 ausgestellt worden sind, aufgrund dieser Richtlinie weder entzogen noch eingeschränkt werden dürfen.

Jetzt ist diese Problematik auch im schadensrechtlichen Verkehrszivilrecht angekommen. Denn Versicherungsschutz im Kraftfahrtversicherungsrecht besitzt nur derjenige, der im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist. Da Versicherer hier die Möglichkeit einer Leistungsablehnung bzw. eines Regresses sehen, beschäftigt sich mit EU-Führerscheinrecht daher auch die Zivilgerichtsbarkeit – mit ebenso unvorhersehbaren Ergebnissen wie im Straf- oder Verwaltungsrecht.

Lösen kann dies nur ein wirklich einheitliches EU-Fahrerlaubnisrecht – von Finnland bis Griechenland. Doch die Umsetzung der 3. Führerscheinrichtlinie zeigt leider, dass unter dem trügerischen Vorwand der Verkehrssicherheit eher nationalstaatlichen Lösungen der Vorzug gegeben wird.

Andreas Krämer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Versicherungsrecht und für Verkehrsrec...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge