VVG § 6 Abs. 3 a.F.; VVG § 5; BGB § 242
Leitsatz
1. Übergibt der VN dem Versicherer die Kraftfahrzeugschlüssel verspätet, so ist das folgenlos, wenn zwischen dem Versicherungsfall Diebstahl und der Aufforderung zur Schlüsselübergabe zwei Wochen vergangen sind.
2. Ob ein Versicherungsschein vom durch den Versicherer vorformulierten Versicherungsantrag abweicht, bestimmt sich nach dem Verständnis des Antrags durch den VN.
3. Der Versicherer ist nicht verpflichtet, den VN bei Vertragsabschluss über alles zu unterrichten, wofür keine Deckung besteht.
(Leitsätze der Schriftleitung)
KG, Beschl. v. 8.6.2010 – 6 U 64/09
1 Aus den Gründen:
„I. 1a) bb) Der Senat sieht auch im Zusammenhang mit der Schlüsselübergabe keine Obliegenheitsverletzung, die zur Leistungsfreiheit führt …
Allerdings ist der Bekl. zuzustimmen, dass der Kl. verpflichtet war, aufgrund der vertraglich vereinbarten Aufklärungsobliegenheiten der Bekl. die Fahrzeugschlüssel auf deren Verlangen unverzüglich zu übergeben (BGH VersR 2004,1117). Angesichts der besonderen Umstände des gegebenen Falles ist die Bekl. aber dennoch nicht nach § 6 Abs. 3 VVG von ihrer Leistungspflicht frei geworden. Leistungsfreiheit ist nach den Grundsätzen der Relevanzrechtsprechung zu verneinen. Nach der Relevanzrechtsprechung ist es dem Versicherer nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf eine nach § 6 Abs. 3 VVG eingetretene Leistungsfreiheit zu berufen, wenn der Obliegenheitsverstoß generell ungeeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, oder den VN subjektiv kein schweres Verschulden trifft, was weiter voraussetzt, dass der Obliegenheitsverstoß folgenlos geblieben ist (vgl. dazu BGH, a.a.O.). Der Senat sieht – in der verzögerten Hergabe der Schlüssel – in der gegebenen Situation nur ein relativ gering wiegendes Verschulden des Kl. Der Kl. konnte seinerzeit nicht erkennen, dass die Bekl. ein gesteigertes Interesse an den Schlüsseln hatte und schon Verzögerungen bei der Übersendung vertragswidrig sind. Denn die Bekl. hatte seinerzeit in keiner Weise kenntlich gemacht, dass die schnelle Herausgabe der Schlüssel für sie Gewicht hatte. Sie hatte zwar auf die Anzeige eines Versicherungsfalls durch den Kl. ihrerseits mit Schreiben vom 16.2.2006 ihre Fragebögen und am 21.2.2006 ein weiteres Schreiben übersandt, aber erstmals mit Schreiben vom 1.3.2006 zur Übersendung der Fahrzeugschlüssel aufgefordert – und dieses erst an vorletzter Stelle einer langen Liste von anderen Dingen, die der Kl. ebenfalls zur Schadensbearbeitung erledigen sollte. Der Senat sieht auch die weitere Voraussetzung, die Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung, als erfüllt an. “Folgenlosigkeit’ bedeutet, dass dem Versicherer bei der Feststellung des Versicherungsfalles oder des Schadensumfangs keine Nachteile entstanden sind (BGH, a.a.O.), was der Regelung in § 6 Abs. 3 S. 2 VVG entspricht. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der VN (BGH, a.a.O.). Da es um einen negativen Beweis geht, ist der Beweis praktisch so zu führen, dass der VN zunächst die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumt und dann abwartet, welche Behauptung der Versicherer über Art und Maß der Kausalität aufstellt, die der VN dann ebenfalls zu widerlegen hat (BGH VersR 2001, 757, juris-Rn 9). Im vorliegenden Fall kann nach dem unstreitigen Sachverhalt festgestellt werden, dass durch die späte Übersendung der Schlüssel die Erkenntnismöglichkeiten, die sich für den Versicherer im Zusammenhang mit einem gemeldeten Fahrzeugdiebstahl aus den Schlüsseln ergeben können, nicht nachteilig verändert haben können. Allerdings hat ein Versicherer regelmäßig ein besonderes Interesse daran, schnell über die Fahrzeugschlüssel verfügen zu können: So ist für ihn bedeutsam, durch sachverständige Untersuchung der Schlüssel Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob Kopierspuren vorhanden sind, was auf das Fertigen von Nachschlüsseln deuten würde, und weitere Nachforschungen nach sich zieht. Wichtig ist weiter die Feststellung, ob alle Fahrzeugschlüssel vorhanden sind, weil das Fehlen Hinweise darauf geben kann, dass einer davon einem Dritten zur Verfügung gestellt worden ist, damit dieser das Fahrzeug – zur Vortäuschung eines Diebstahls – von seinem Standort verbringt (so BGH a.a.O., juris-Rn 11). Diese Ermittlungsansätze konnte die Bekl. hier nicht mehr sinnvoll nutzen. Denn erforderlich ist, dass die Nachteile bei den weiteren Ermittlungen durch das dem VN vorgeworfene Verhalten verursacht worden sind. Gerade daran fehlt es hier. Denn die Bekl. hätte auch bei einer umgehenden Reaktion des Kl. auf das Anforderungsschreiben vom 1.3.2006 aus der Anzahl der übersandten Schlüssel keine sinnvollen Rückschlüsse mehr ziehen können, weil am 1.3.2006 schon mehr als zwei Wochen nach der angezeigten Tat vergangen waren. Hinzu kommen weitere, nicht dem Kl. zuzurechnende Verzögerungen durch die Postlaufzeit des Schreibens der Bekl., des Übersendungsschreibens des Kl. und eine gewisse dem Kl. zuzubilligende Reaktionszeit.
Die Ermittlungsmöglichkeit der Bekl.,...